Dem Schicksal überlassen

Christian Berzins, Die Südostschweiz (18.10.2005)

La Forza del Destino, 16.10.2005, Zürich

«La forza del destino» verblüfft in Zürich durch Nichteinmischung der Regie

Das Opernhaus Zürich hat am Sonntag seine Neuinszenierung von Giuseppe Verdis «La forza del destino» gezeigt: musikalisch zufrieden stellend, aber auch museal bebildert.

Wie waren die Zürcher 1991 doch erstaunt: Kaum hatte der neue Impresario Alexander Pereira aus Wien sein Opernhausdirektoren-Amt angetreten, offerierte er Neuinszenierungen noch und noch. Doch bereits bei seiner zweiten Premiere gabs einen Dämpfer: Verdis von Schicksalsschlägen gezeichnete Liebesgeschichte zwischen Leonora und Alvaro versank in dunklen Bildern, eine Deutung von «La forza del destino» blieb Regisseur Tony Palmer dem Publikum schuldig. Da es, so Pereira im «Opernhaus-Magazin», die Verdi-Opern kontinuierlich zu erneuern und zu pflegen gilt, hat er jetzt «La forza del destino» neu inszenieren lassen. In 14 Jahren geschah viel, der Blick auf Verdis Opern hat sich gewandelt: Was einst normal war, wirkt heute verstaubt. Vice versa. – So besteht selbst für die Arbeit von Regisseur Nicolas Joel Hoffnung. Er zeigt Verdis Drama nämlich so lustlos, als würde es sich selbst erklären. Doch so genial ist diese (zu) viel gescholtene Oper nicht, dass man sie bloss zu bebildern bräuchte. Das Handeln und Denken der zweimal drei Protagonisten gilt es zu hinterfragen und aufzuzeigen – dem Publikum zu erklären. Diese Aufgabe kann man auch in den prächtigen, realistischen Kulissen von Ezio Frigerio und den dicken Kostümen von Franca Squarciapino lösen. Aber Joel unternimmt fast nichts, und so werden selbst steinerne Mauern zu weichen Pappmaché-Wänden, edle Mäntel zu verstaubten Stoffen.

Oper von vorgestern

Immer wieder stört auch ein klischierter Realismus: lamentierende Mönche auf Fässern, trippelnde Soldaten, in Ohnmacht fallende Frauen. Das ist Oper von vorgestern. Schlimmer ist, wie dumm Joel seine Figuren auf der Bühne aussehen lässt: Ein Vincenzo La Scola ist in dieser Inszenierung einfach nur ein kleiner, dicklicher Tenor anstatt ein Held mit Inka-Vergangenheit; Joanna Kozlowska ist nur eine matronenhafte Sopranistin und keine trotzige Adelstochter. Allein Leo Nucci (Carlo di Vargas) kann mit seiner 30-jährigen Verdi-Erfahrung dagegen ansingen und anspielen. Selten hat man so gut gehört, dass Verdi-Singen eben Verdi-Sprechen heisst. Nucci artikuliert überdeutlich – der Gesang kommt natürlich hinzu: bald dramatisch aufbrausend, bald lyrisch schmeichelnd, immer tief bewegend.

Kozlowska kann den Text nicht sprechen und folglich nicht singen. Und so bleibt ihr bester Moment die Pianissimo-Stelle kurz vor dem Einlass ins Klostergelände («La vergine degli angeli»). Diese Takte singt sie so famos, weil sie ein überaus lyrischer Sopran ist. Doch Leonora ist, bei allem Respekt vor allzu strengem Fächer-Denken, nicht mit einem lyrischen Sopran zu besetzen. Denn ein solcher versucht über drei Viertel der Partie dramatisch zu sein. Kozlowska tut das sehr eigenartig: Sie zerreist die Phrasen, macht eigenwillige Pausen und meint, damit Dramatik zu gewinnen. Es bleiben klischierte Gesten.

Rätselhafte Ouvertüre

Das Zürcher Publikum ist mit der Zeit gegangen. Vor 14 Jahren jubelte das Publikum, am Sonntag applaudierte es höflich, für die Regie gabs auch zwei, drei Buhs.

Immerhin, einer bleibt immer derselbe und gut: Dirigent Nello Santi. 1958 hat er in Zürich bereits «La forza» dirigiert. Es ist ein Genuss, die Qualität des Orchesters zu belauschen – manchmal kann es Santi in seiner klangprächtigen Entfaltung kaum zurückhalten. Er zeichnet die Phrasen fein, gibt Atem in die Soli und drängende Kraft in die Tutti. Aber es ist auch ein Dirigat, das kaum Überraschungen kennt: Das Orchester schnurrt, wenn das Geschehen explodiert. Dass Santi die Ouvertüre nicht am Anfang, sondern zwischen erstem und zweitem Akt platziert, bleibt die grösste Überraschung, ja ein Rätsel – allerdings das einzige an diesem langen Abend.