Anna Kardos, Aargauer Zeitung (06.02.2018)
Giovanni Antonini dirigiert in Zürich Mozarts «Idomeneo». Und macht die Instrumentalisten zu den Helden des Abends.
Er hätte es wissen müssen. Blanko-Schwüre, von wegen: «Ich gebe dir, was du willst, nur hilf mir hier raus», enden selten gut. Aber bei Todesgefahr neigt man eben zur menschlichen Schwäche – selbst, wenn man König von Kreta ist. Darum schwört König Idomeneo in akuter Seenot, den ersten zu opfern, der ihm begegnet. Wie hätte er wissen sollen, dass ihm ausgerechnet sein eigener Sohn über den Weg läuft? Und schon ist die Tragödie in vollem Gange.
Tragödie vom Feinsten
Es ist eine Tragödie, bei der Wolfgang Amadeus Mozart aufblüht – natürlich nur als Komponist, schliesslich war der Wiener Klassiker ja kein Unmensch. Ein grausamer Schwur, ein nichts ahnender Sohn, ein innerlich zerrissener Vater sowie zwei kriegstraumatisierte Prinzessinnen, die heimlich lieben – das ist ein Opernpersonal, welches Nervenkitzel verspricht, dazu Affekte und Effekte vom Feinsten.
Und damit nicht genug. Denn diese Konstellation ermöglicht es der Musik auch, jede Figur tiefenperspektivisch auszuleuchten, schliesslich schlagen hier vier Herzen ganz anders, als es die königliche Etikette vorschreibt. Das Setting hielt, was es versprach: Mit «Idomeneo» komponierte Mozart 24-jährig eine seiner emotional tiefgründigsten Opern.
Wenn es nun um Emotionen in der Musik geht, lässt sich auch Dirigent Giovanni Antonini nicht zweimal bitten. Der 53-jährige Italiener praktiziert eine historisch informierte Aufführungspraxis mit einer Extraportion Drive. An diesem Abend schafft er es darüber hinaus, jeder einzelnen Arie ihren ganz eigenen Charakter zu verleihen: Perkussiv schlägt etwa das Orchester die Kriegstrommel – wohlgemerkt: auf Streichinstrumenten, ein ander Mal rast der Puls der Figuren in Triolen. Und wenn die Bläser als markerschütternde Todestrompeten aufspielen, kann man im Basso Continuo parallel die Herzen der Helden hämmern hören. Derart lebendig ist das, dass man statt an den Lippen der Sänger an den Instrumenten des Ensembles La Scintilla hängt.
Vielleicht ist das gut so. Denn die schönen Stimmen des Sängerensembles, tun sich etwas schwer, mit Antoninis Farbenreichtum mitzuhalten. So lässt sich König Idomeneo (Joseph Kaiser) seine Zerrissenheit musikalisch kaum anmerken, sondern nimmt seine Partie in monarchisch-sonorem Forte. Sohn Idamante (Anna Stéphany) gestaltet exakt, fokussiert und mit durchgängig royalem Vibrato – und bei Prinzessin Ilia (Hanna-Elisabeth Müller) tönen die Mozart-Arien eher nach Arie als nach Mozart. Einzig die verschmähte Prinzessin Elektra nimmt es hinsichtlich Farbenreichtum mit dem Orchester auf. Ihr Zähneknirschen ist trotz technischer Brillanz der Interpretin Guanqun Yu förmlich spürbar. Das macht sie zur strahlenden Antiheldin des Abends.
Regie glänzt durch Zurückhaltung
Und die Inszenierung? Sie gibt sich als Kontrastprogramm zum Gehörten. Grau in Grau sind Kostüme (Dieuweke van Reij) und Bühnenbild (Gideon Davey) gehalten. In der Anlage erinnert das an eine Mischung aus Bankangestellten, Picassos Guernica und barockem Passionsspiel. Die Regie (Jetske Mijnssen) setzt immerhin auf schwarz-weiss, wenn sie die Figuren wiederholt wanken und zusammenbrechen lässt. Das mag als Psychogramm durchaus treffend sein. Doch für einen König oder Prinzen wirken die wiederholten Zusammenbrüche gar zu hilflos. Zwar merkt Jetske Mijnssen im Programmheft an, dass nur die Musik sämtliche Facetten der Figuren wiederzugeben vermag. Doch ganz so kampflos hätte die Regie das Feld dem Dirigenten dann doch nicht überlassen müssen.