Das Schicksal, ein Felsbrocken

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (18.10.2005)

La Forza del Destino, 16.10.2005, Zürich

Bunte Musik, blasse Regie: «La forza del destino» von Giuseppe Verdi am Zürcher Opernhaus.

Das Schicksal kann kapriziös sein. Dann lässt es einen tödlichen Schuss losgehen aus einer Pistole, die einer dem Vater seiner Braut eigentlich als Friedensangebot vor die Füsse wirft. Es trennt die Liebenden, jagt ihnen durch Kneipen und Kriege einen rachsüchtigen Bruder hinterher und bringt die drei schliesslich Jahre später in einem Kloster zusammen. Dort finden sie den Tod (die Geschwister, Leonora und Don Carlo) oder die Erleuchtung (der Geliebte, Don Alvaro), und man weiss eigentlich nicht genau, wie das gekommen ist.

Giuseppe Verdi liebte solche Geschichten, ohne Logik, ohne Wahrscheinlichkeit, aber mit einer endlosen Reihe von dramatischen Szenen. Sie boten ihm das, was er brauchte: eine flexible Vorlage, auf die er sein gesamtes musikalisches Vokabular anwenden konnte. Vom Schwank zur Tragödie, von der Operette zur Programmmusik führt «La forza del destino»; die Pilger, die einmal durch den Hintergrund ziehen, könnten direkt aus dem handlungsmässig ebenso unwahrscheinlichen «Trovatore» stammen. Dem Schicksal kann es eben auch einfallen, einen grossen Komponisten mit einem Talent für die Vertonung kurioser Stoffe (hier vom Spanier Angel de Saavedra) auszustatten.

Bittersüsse Arien

Dieses Talent hatte Verdi zweifellos, und dank ihm kommt in dieser schrägen Geschichte so mancher an seinen richtigen Platz. Matti Salminen etwa, der wieder einmal einen Mönch geben darf und es mit Würde und warmem, geschmeidigem Bass tut. Die Szene, in der er Leonora in die Einsiedelei entlässt, ist die stärkste des Abends, denn so klischiert die Figur dieses Padre Guardiano ist: Verdis Musik und Salminens Gesang sind es nicht.

Auch Nello Santi kommt das Werk entgegen. 1958 hat er mit ihm seinen Einstand gegeben am Zürcher Opernhaus, nun dirigiert er es wieder, ungekürzt (was bei Santi keine Selbstverständlichkeit ist) und mit gewohntem Sinn für saftige Klänge. Geradezu lüpfig nimmt er manche Dreiertakte, der bittersüsse Tonfall vieler Arien liegt ihm. Wenn er szenische Momente der Musik umsetzt - das herzschlagähnliche Pochen zur Arie des verwundeten Don Alvaro etwa, die Schlachtmusiken oder die Tänze -, dann tut er es mit effektfreudiger Hingabe. Und die einzige Umstellung in der Partitur hat durchaus ihre Vorteile: Santi lässt die Ouvertüre erst nach dem ersten Akt spielen, damit die Umbaupause überbrückt wird - und weil das Orchester so für das heikle Stück bereits aufgewärmt sei (es war es bei der Premiere am Sonntag tatsächlich: Das Orchester der Oper spielte die Ouvertüre farbenreich, prägnant, stimmungsvoll).

Die Nachteile dieser Umstellung wurden allerdings ebenso deutlich. Für die Darsteller der Leonora und des Don Alvaro ist der Einstieg nach wenigen vorbereitenden Takten des Orchesters ein Sprung ins Leere, und es dauerte eine Weile, bis sie sich darin orientierten. Die Koordination zwischen Bühne und Graben war problematisch, und immer wieder reagierten die Liebenden mit Verzögerung aufeinander. Der erste Akt wirkte so nicht nur dramaturgisch, sondern auch musikalisch wie ein Prolog.

Insofern hat auch hier das Schicksal richtig entschieden: Leonora und Don Alvaro begegnen einander erst am Schluss der Oper wieder, und bis dahin können sie weit ausdrucksstärker über die verlorene Liebe klagen, als sie sich über die reale gefreut hatten. Vor allem Joanna Kozlowska als Leonora bietet ein schillerndes Rollenporträt, mit vibratoreichem, aber dennoch klar geführtem Sopran und berückenden introvertierten Klängen. Salminens grosse Szene ist auch die ihre (und jene von Jürg Hämmerlis Opernhaus-Chor, dem dieses Werk zahlreiche attraktive Auftritte beschert).

Auch Vincenzo La Scola als Don Alvaro steigert sich nach dem ersten Akt; zwar ist sein Timbre eher hart als lyrisch, er fordert Gnade eher ein als dass er sie ersehnt. Aber sowohl stimmlich als auch darstellerisch wirkt er beweglicher als vor ein paar Jahren in der Zürcher «Tosca».

Bankrotterklärung der Regie

Das ist ganz allein sein Verdienst, denn der französische Regisseur Nicolas Joel lässt sich von dieser «Forza del destino» auffallend passiv beuteln - und reiht die Aufführung damit ein in die inzwischen ziemlich umfangreiche Serie missglückter Zürcher Verdi-Inszenierungen. Es wäre unsinnig, die Oper realistisch zu verstehen oder ihr einen Symbolgehalt zu unterstellen, lässt sich Joel, der im Mai auch noch die «Aida» betreuen wird, im«Opernhaus-Magazin» verlauten. Das ist nicht weniger als eine Bankrotterklärung der Regie: Was keinen Sinn macht, macht halt keinen.

So wird dann einfach bebildert, was gerade vorkommt. Freudig besingen die Soldaten den schönen Krieg, die Hungernden humpeln ein wenig und sind dann schnell wieder zufrieden. Liebe ist Liebe und Krieg ist Krieg, wie Marionetten kippen die Figuren von einem Seelenzustand in einen anderen, und für dramatische Momente gibts zum Glück Trockeneis. Naiv wirkt das, zu den grossen Themen des Stücks - Liebe, Rache, Gewalt, Rassismus - hat die Regie befremdlich wenig zu sagen. Nur ein grosser Felsbrocken, der drohend über Ezio Frigerios düsterer Bühne hängt, zeigt an, dass die Geschichte ein übles Ende nehmen wird.

Es nähert sich in der Gestalt von Don Carlo, dargestellt von Leo Nucci, den man sonst mittlerweile eher in Vaterrollen findet. Dass ihm die Wahrsagerin (eine ausdrucksstark, aber mit ausgeprägten Brüchen zwischen den Registern singende Stefania Kaluza) den Studenten nicht abnimmt, leuchtet auch der Zuschauerin ein. Aber immerhin, dank Franca Squarciapinos Kostümen und Nuccis physischer Elastizität mag dieser Don Carlo, wenn nicht als Bruder, so doch als älterer Cousin Leonoras durchgehen; und wenn er mit gebleckten Zähnen und kräftigem Bariton seine Rachepläne verfolgt, dann ergänzt er das Protagonistentrio auf hohem Niveau.

Am Ende, wenn er vor seinem eigenen Tod noch rasch Leonora ersticht, senkt sich dann auch der Felsbrocken über die Szene. Man hat es kommen sehen.