Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (10.04.2018)
Diana Damrau und Serena Farnocchia prägen die Neuinszenierung von Donizettis «Maria Stuarda» am Opernhaus Zürich. Und die Regie des Amerikaners David Alden sorgt für eine Überraschung.
Die Schlüsselszene ereignet sich im Finale des ersten Akts: Königin Elisabeth I. von England hat im Schloss Fotheringhay ihre Rivalin, die schottische Königin Maria Stuart, aufgesucht. Sie hält sie dort gefangen, weil Maria, die aus Schottland fliehen musste, ebenfalls Anspruch auf den englischen Thron erhebt. Nun stehen sich die beiden Rivalinnen zum ersten Mal direkt gegenüber. Elisabeth ist es, die zuerst die Nerven verliert. Sie beschimpft Maria als Verbrecherin und Verräterin, darauf anspielend, dass Maria in Schottland abgesetzt worden ist, weil sie an der Ermordung ihres Gatten beteiligt gewesen sein soll.
Darauf verliert Maria die Fassung und beschimpft Elisabeth als unrechtmässige Königin von England. Tatsächlich wurde Elisabeth von ihrem Vater, Heinrich VIII., für illegitim erklärt, nachdem ihre Mutter, Anne Boleyn, hingerichtet worden war. Und jetzt gibt es kein Halten mehr: Die beiden Königinnen stürzen wütend aufeinander los und liefern sich einen handgreiflichen Kampf.
Eine Klasse für sich
Dass diese Szene derart unter die Haut geht, liegt vor allem an den beiden Hauptdarstellerinnen. Für die Titelrolle von Donizettis «Maria Stuarda» konnte das Opernhaus Zürich die grossartige Sopranistin Diana Damrau verpflichten. Als Elisabeth steht ihr die Italienerin Serena Farnocchia gegenüber, die man in Zürich unter anderem als Alice Ford in Verdis «Falstaff» gehört hat.
Während in der Handlung der Oper Elisabeth über Maria triumphiert, trägt auf der musikalischen Ebene Damrau den Sieg über Farnocchia davon. Die Bayerin, die seit vielen Jahren auf allen Bühnen der Welt zu Hause ist, bestätigt ihren Ruhm auch bei diesem Rollendebüt. Sie zeichnet die menschliche Entwicklung der schottischen Königin von der rachsüchtigen Gefangenen über ihre Läuterung bis zur gefassten Entgegennahme des Todesurteils absolut glaubwürdig. Dafür steht ihr eine Stimme zur Verfügung, für die es keine Grenzen zu geben scheint. Ihre Koloraturen sind umwerfend, der Stimmumfang beeindruckend und die dynamischen Abstufungen atemberaubend. Damrau bildet, kurz gesagt, eine Klasse für sich.
Farnocchia hat da einen schweren Stand. Von der Handlung her darf Elisabeth nicht sympathisch sein, und auch musikalisch liegen die Sympathien Donizettis bei Maria. Farnocchias Sopran klingt denn in der direkten Konfrontation auch härter, kälter, abweisender. In den Szenen mit den einflussreichen Männern ihres Hofes und mit dem von ihr umworbenen Leicester zeigt sie sich aber auch von einer weicheren und verletzlicheren Seite.
Ein kräftiger Motor
Der Leicester von Pavol Breslik, der zwischen den beiden Frauen steht und die Rivalinnen-Story somit zu einer amourösen Dreiecksgeschichte erweitert, ist bei der Premiere leicht indisponiert und forciert wohl deshalb seinen Tenor über Gebühr. Auf der Seite Marias stehen der verkappte schottische Geistliche Talbot (Nicolas Testé) sowie ihre mutige Dienerin Anna (Hamida Kristoffersen), als Befürworter von Marias Hinrichtung profiliert sich Lord Cecil (Andrzej Filonczyk).
Die eingangs erwähnte Schlüsselszene ist auch musikalisch ein Höhepunkt. Die Stimmen der Königinnen ergänzen sich mit jenen von Leicester, Talbot, Cecil und Anna zum typischen Opernsextett, dazu greift der Chor der Oper Zürich als Jagdgesellschaft und Wachen Elisabeths kräftig ins Geschehen ein, und die Philharmonia Zürich heizt die Stimmung durch dramatische Grundierung mächtig auf.
Enrique Mazzola, der in Zürich nach etlichen Wiederaufnahmen erstmals eine Neuproduktion leitet, versteht den Orchesterpart keineswegs als «Riesengitarre», sondern als kräftigen Motor der Vokalstimmen, der die Entwicklungen ankurbelt und mitträgt. Die Finessen klappen bei der Premiere noch nicht alle, und in der Lautstärke schiesst der Dirigent gelegentlich über das Ziel hinaus. Aber die Frische und Beherztheit seiner Interpretation tut dieser Oper sehr gut.
Eine positive Überraschung bildet die Regiearbeit des Amerikaners David Alden. Wer im letzten Sommer seine Inszenierung von Catalanis «Loreley» an den Festspielen St. Gallen gesehen hat, wo er die Haupthandlung in einem unsäglichen Disneyland-Rummel untergehen liess, mochte skeptisch sein. Doch bei «Maria Stuarda» gelingt es Alden und seinem Ausstatter Gideon Davey, die Handlung sinnfällig zu verdeutlichen und zu deuten.
Ironisierung des Geschehens
Dazu dienen einfache Gegenstände wie eine Krone, ein Henkerbeil, die Todesurkunde, ein Skelett oder ein Kruzifix. Die Ironisierung des Geschehens kann sich Alden aber auch in Zürich nicht ganz verkneifen. Was soll etwa das monströse Pferd, das den Sockel zu Elisabeths Thron bildet? Oder was bedeutet das Maria-Double, das blutüberströmt auf einem Empire-Sofa sitzt und dennoch triumphierend die Hände in die Höhe streckt? Auf jeden Fall ist Alden ein postmoderner Eklektiker, der die unterschiedlichsten Stilmittel gleichberechtigt nebeneinander einsetzt. Dazu gehört auch die von Martin Gebhardt verantwortete Lichtgestaltung, welche die Bühnenfiguren gerne als bedrohliche Schatten an die (Gefängnis-)Wand projiziert.
Schliesslich wagt Alden auch eine Deutung der Machtfrage. Bei der besagten Jagdszene in Fotheringhay schiessen die Männer mit Flinten, die Frauen dagegen, selbst Königin Elisabeth, tragen Hirschgeweihe. Und wenn Elisabeth im zweiten Akt das Todesurteil für Maria unterschreibt, wirkt sie mit ihrem fahlen Antlitz und in ihrem Büsserhemd gar nicht wie eine Herrscherin, während Cecil, der ihr mit seinem Beil bedrohlich nahe kommt, massiven Druck ausübt. Frauenpower als versteckte Macht der Männer?