Anna Kardos, Aargauer Zeitung (10.04.2018)
Donizettis «Maria Stuarda» am Zürcher Opernhaus ist nicht zuletzt dank Sopranistin Diana Damrau ein Fest fürs Ohr – aber fürs Auge eher karg.
Zickenkriege zeichnen sich selten durch ein Ende in Würde und Grossmut aus. Es gibt jedoch Ausnahmen. Etwa, wenn man Königin ist und erst noch zum Tod verurteilt. Eine Koinzidenz, die im realen Leben eher selten, jedoch auf grossen Opernbühnen gang und gäbe ist, gehören doch Krone und Tod dort beinahe schon zum guten Ton (man denke nur an «Aida», «Norma», «Didone»). Und «Maria Stuarda» von Gaetano Donizetti ist in der Kategorie der todgeweihten Königinnen quasi der Superstar, sie erhebt In-Schönheit-Sterben geradezu zu einer neuen Kunstform.
Krieg der Königinnen
Wie aber kommt es zum Todesurteil? Schliesslich hatte Maria gerade noch vor Machthaberin Elisabetta gekniet und um Freiheit bittend am Boden verharrt. Die Königin im Strassenstaub? Nur das Zittern ihrer Hand verriet Erregung. Was aber tut Englands Monarchin Elisabetta? Verhöhnt die gefangene Amtskollegin. Da platzt Maria endgültig der Kragen, Pardon: die elisabethanische Halskrause. Und schon werden die zwei Regentinnen zu Frauen aus Fleisch und Blut – der Zickenkrieg ist in vollem Gang.
Auge in Auge, Haarpracht an Haarpracht (die tollen Kostüme: Gideon Davey) stehen sie einander gegenüber – eine typische Konstellation von Regisseur David Alden, der dem Werk hauptsächlich Schematisches oder Symbolisches abzugewinnen weiss, einiges davon ist tatsächlich im Stück angelegt: Elisabetta, die Regentin. Maria, die Geduldete. Elisabetta, die Rigide. Maria, mehrfache Witwe. Elisabetta, unglücklich verliebt. Maria, glücklich verliebt – dass dummerweise das Ziel ihrer beider Amouren ein und derselbe Mann ist (Graf Leicester), bringt nicht nur die Kronen ins Wanken, sondern auch Marias Haupt zum Rollen.
Denn sie beschimpft nun ihrerseits Elisabetta als Bastardin, schmäht sie als Thronbeschmutzerin vor den Augen des versammelten Hofes – und redet sich damit um Kopf und Kragen. Dass auch Elisabetta ziemlich unroyales Vokabular ins Feld führt, fällt angesichts ihrer Macht kaum ins Gewicht – und dass das englische Königshaus des Öfteren Dreck am Stecken hatte, ist seit Shakespeares Historiendramen ohnehin ein offenes Geheimnis.
Schimpfwort als Ohrenschmaus
Doch als Zuhörerin sitzt man im Parkett der Zürcher Oper und lauscht verzückt, lauscht Worten wie Bastard und Hure. Schuld daran ist Komponist Donizetti. Mit seiner Musik verklärt er Schimpfwörter in schiere Schönheit. Fast möchte man es dem Komponisten ankreiden, dass er Maria Stuarda ihrer Hinrichtung in strahlendem Dur, voller Koloraturen und Akkordkaskaden entgegenträllern lässt – wenn es nicht zu schön wäre. Sodass einem sämtliche Kritik im Mund zerfällt. Aber Donizetti konnte auch anders.
Mit den Mitteln der Musik macht er klar, wer wann das Sagen – beziehungsweise das Singen – hat. Darum ragen Elisabettas Arien genauso imposant in die Höhe wie die Zacken ihrer Krone. Mezzosopranistin Serena Farnocchia als Elisabetta füllt die Phrasen mit Würde und einer gewissen Strenge, die der Monarchin gut ansteht. Pavol Breslik, Favorit beider Königinnen, legt in seine Partie all jene Kraft, die seiner Rolle als untätiger Graf Leicester abgeht, Nicolas Testé stellt als Talbot einen samtenen Gegenpol dazu.
Ein fest fürs Ohr bietet auch die Philharmonia Zürich unter Enrique Mazzolas Leitung. Schon die Ouvertüre ist grossartiges Lauschtheater und nimmt die Bühnenkonstellation gleich vorweg: Hart fallen die Streicher ins Geschehen, einsam singt eine – grossartige – Klarinette ihre zarte Melodie. Und die Musiker werden nicht nachlassen, die Sänger mit ausserordentlicher Emphase durch den Abend zu begleiten, ja zu tragen. Ob sie dabei mit Sopranistin Diana Damrau besonders behutsam vorgehen? Denn Damraus Interpretation der Maria öffnet sich an diesem Abend eine neue Dimension: der Zusammenschluss von schierer Schönheit mit grossen Gefühlen. Das macht Damraus Partie lebendig, reich – selten so gehorcht.
Und die Musik korrespondiert mit Marias Rolle. Eben noch im royalen Zickenkrieg am Austeilen, vollzieht Maria nach dem Todesurteil eine Wandlung. Alles Irdische legt sie ab, wächst über sich hinaus, tröstet ihre Untertanen, verzeiht Elisabetta grossmütig und entbindet sie von jeglicher Schuld. Unglaublich, aber wahr? Unglaublich schon, aber so ist Oper eben.