Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (29.05.2018)
Das Zürcher Opernhaus zeigt Giuseppe Verdis «La forza del destino» als Groteske.
Was schiefgehen kann, geht schief: Das erfährt Don Alvaro, der in Verdis «La forza del destino» seine Pistole zum Zeichen seiner friedlichen Absichten ablegt – und ausgerechnet dabei einen tödlichen Schuss auslöst. Und das erfuhren bei der Premiere auch der Regisseur und Opernhaus-Intendant Andreas Homoki und sein Bühnenbildner Hartmut Meyer: Da hätten sich doch während der Ouvertüre zwei Wände öffnen sollen; aber die eine knirschte, klemmte, blieb hängen. Das Orchester spielte weiter, irgendwann senkte sich der Vorhang.
Aber im Unterschied zu Alvaro konnte Homoki das Schicksal zu seinen Gunsten wenden. Als der Vorhang wieder hochging, stand er auf der Bühne und erklärte und entschuldigte die Panne so charmant, dass er einen Szenenapplaus erntete, von dem so mancher Sänger träumen würde.
Danach fing man einfach noch einmal von vorne an, und das war eine gute Idee. Denn tatsächlich machten Generalmusikdirektor Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich schon in der Ouvertüre klar, dass das Aufregendste an diesem Abend im Orchestergraben stattfinden würde. Das Pochen der Bläser wirkte hier nicht wie so oft beschwingt, sondern bedrohlich; Akzente wurden geschärft, als dirigiere Luisi mit dem Messer – um es gleich wieder wegzulegen, wenn es unendliche Wehmut aus einer Melodie herauszulocken galt.
Man hätte sich diese Ouvertüre gern auch noch ein drittes Mal angehört, aber die Wand öffnete sich nun fast wie geplant. Die letzten Macken trieben ihr drei Sänger aus, die sich kurzerhand als Bühnenarbeiter ins Zeug legten, danach lief alles wie geschmiert. Und selbst dieser unvorgesehene Einsatz von Preziosilla, Fra Melitone und Mastro Trabuco wirkte sinnfällig. Denn so, wie sie die Bühne richteten, so steuerten sie – als personifizierte Macht des Schicksals – das Geschehen in diesem Stück.
Aus viel mach drei
Dies ist der entscheidende und überzeugende Kniff von Homokis Inszenierung: Er hat die diversen Nebenfiguren zu drei grösseren Partien zusammengefasst und ihnen dabei auch gleich noch ihre pittoresken Seiten ausgetrieben. Zwar treten sie zwischendrin durchaus als Wahrsagerin oder Mönch auf; aber vor allem ziehen sie die Fäden, schicken die Figuren im falschen Moment an den falschen Ort und sorgen notfalls mit Gewalt dafür, dass sich ihr schlimmes Schicksal erfüllt.
J’Nai Bridges, Jamez McCorkle und der für den erkrankten Ruben Drole eingesprungene Gezim Myshketa geben diese drei Figuren, die das ganze Stück in Richtung Groteske verschieben. Sie tun es mit kräftiger Hilfe des von Janko Kastelic vorbereiteten Chors, der mit weisser Schminke und schwarzen Tönen, mit roten Perücken und irren Bewegungen zum heimlichen Hauptakteur des Stücks wird. Dass Homoki und die Kostümbildnerin Mechthild Seipel sehr viel Zeit darauf verwendet haben, die Massenszenen individuell durchzugestalten, ist nicht zu übersehen. Auch nicht zu überhören allerdings: Wenn ein ganzer Chor die Protagonisten hetzt und lockt, kann selbst ein schalldämpfender Boden das Getrampel nicht ganz schlucken.
Ein schiefer, rot-schwarz gestreifter Boden ist es, auf dem sich die Wände oft zu einem zentralen Kubus formen, um den die Figuren getrieben werden. Und ein bisschen kommt es da zum Déjà-vu: Schon in Wagners «Fliegendem Holländer» und Bellinis «I Puritani» hatte Homoki die Sänger um einen zentralen Bühnenbau ziehen lassen. Und sein Flair fürs Groteske hat man in seiner Inszenierung von Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk» ebenso kennen gelernt wie in Charpentiers «Médée».
Zum Glück gibts Leonora
Aber klar, das alles passt bestens zu «La forza del destino». Und es gibt ja noch die Protagonisten, die fürs Jamais-entendu zuständig sind: Der Argentinier Marcelo Puente gibt als Alvaro sein Debüt am Opernhaus, mit starkem Vibrato und metallischem Timbre. Seinen Widersacher Don Carlo di Vargas singt erstmals der Rumäne George Petean, solid und oft laut. Beide haben gute Momente; die verbreiteten Klagen über den kriselnden Verdi-Gesang dürften sie dennoch kaum zum Verstummen bringen.
Aber dann ist da noch die Russin Hibla Gerzmava: Sie gab ihr Rollendebüt als Leonora, ihr Hausdebüt in Zürich – und war vom ersten bis zum letzten Ton grossartig. Stark und voll ist ihr Sopran oder auch ganz zart; über alle Lagen strömt er gleichmässig in den Raum, unangestrengt, emotionsgeladen, grosszügig. Man glaubt ihr die Liebe, man glaubt ihr auch die Verzweiflung, und dass Homoki sie im dritten Akt auf die Bühne schickt, obwohl sie sich da als Eremitin zurückgezogen hat, kann man gut verstehen: Selbst als stumme Präsenz belebt sie die Aufführung.
Um Logik geht es ja sowieso nicht hier. Nicht bei Verdi, der in «La forza del destino» einmal mehr einen Stoff gewählt hatte, der ihm vor allem grosse Gefühle liefern sollte. Auch nicht bei Homoki, der allen Naturalismus weggeräumt hat, um sich auf das Innenleben der Figuren zu konzentieren. Da hat es durchaus seinen Sinn, dass Leonoras erschossener Vater ihr später als Mönch das Kloster öffnet: Es zeigt ihr Trauma, wenn sie ihn immer wieder tot zu Boden sinken sieht – umso mehr, als Christof Fischesser die Figur geschickt in der Schwebe hält zwischen Realität und Halluzination.
Die übrigen Beziehungen bleiben blasser. Leonora und ihr Geliebter Alvaro legen sich die Hand auf die Schulter, als seien sie per Sie. Und wenn Alvaro und Carlo ihre Duett-Duelle ausfechten, hätte man ihnen etwas mehr von jener szenischen Betreuung gewünscht, die der Chor bekommen hat. Am Ende sind die einen tot und die anderen lebendig, es spielt eigentlich keine grosse Rolle. Aber das Schicksal, das sie alle so handgreiflich gebeutelt hat: Das wird man nicht so schnell vergessen.