Simon Bordier, Basler Zeitung (26.06.2018)
Ein Wurf: Die Neuinszenierung von Monteverdis «L’Incoronazione di Poppea» am Opernhaus Zürich
Die Sänger der Neuproduktion von Monteverdis Oper «L’Incoronazione di Poppea», die am Sonntag am Opernhaus Zürich Premiere feierte, hätten allen Grund, sich unwohl zu fühlen. Der spanische Regisseur Calixto Bieito hat nämlich wie schon bei früheren Gelegenheiten die Bühne wieder mal mächtig umgekrempelt: Sie besteht aus einem ringförmigen Laufsteg, der die Darsteller wie Models den Blicken des Publikums aussetzt. Und auch aus der Mitte des Rings droht Ungemach: Dort sitzt das Orchester, das Alte-Musik-Ensemble La Scintilla, und kommentiert fast jeden Schritt, jede Regung mit ebenso fein- wie scharfsinnigen Klängen (unbestechlich: der Dirigent Ottavio Dantone). Und sollte den Blicken des dicht am Laufsteg sitzenden Publikums doch etwas entgehen – überall sind Kameras, die das Geschehen einfangen und auf Leinwände projizieren.
Bieito und seiner Bühnenbildnerin Rebecca Ringst ist ein Wurf gelungen. Der Laufsteg wird zum Sinnbild für eine Welt, in der sich die Liebe nicht auf direktem, ehrlichem Weg durchsetzt, sondern eine Frage von Macht, Sex-Appeal und Taktiererei ist. Am Schluss gewinnt die Liebe, doch sie tut es auf unbarmherzige Art, mit dem Recht des Stärkeren. Die 1642 uraufgeführte «Krönung der Poppea» wirkt bis heute verstörend modern.
So voyeuristisch der Blick des Publikums auf die Darsteller fällt, so souverän gehen diese damit um. Im Grunde sind sie es, die mit den Gefühlen des Publikums spielen, und nicht umgekehrt. Wie weit sie zu gehen gewillt sind, zeigt das Beispiel der Sopranistin Deanna Breiwick in der Rolle der koketten Drusilla. Sie wird Opfer einer Intrige. Ein fieser dicker Typ in Nadelstreifenanzug setzt sich auf sie, würgt sie, schlägt ihren Kopf gegen die Plexiglasscheibe, sie röchelt, blutet, die Kamera geht nah dran – es ist fast nicht zum Aushalten. Bei allem Gewürge und Geküsse bleibt die Musik bestimmend. Dank dem Ring-Konzept kann man die frühbarocken Klänge auf den meisten Plätzen gut – sprich: aus der Nähe – erleben.
Wie gemacht für die Figur des schrillen Kaisers Nerone ist der australische Countertenor David Hansen. Seine Spitzentöne sind Ausdruck einer wahnwitzigen Begierde, die er an seiner geliebten Poppea auslebt. Sie wird von der Sopranistin Julie Fuchs mit sündhaft süssen Melodien interpretiert, getragen von einem kaum verhüllten Machtinstinkt – der wiederum Nerone aufgeilt.
Ein Held, nicht von dieser Welt
Am Schluss scheinen sich die beiden Protagonisten nicht nur zu lieben, sondern beinahe gegenseitig zu verschlingen, aufzufressen. Frühere Geliebte und Ehegatten sind da längst aus dem Weg geräumt: Delphine Galou verleiht der traurigen Ottone-Figur mit ihrer Altstimme eine mystische Tiefe, die Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustriac besticht als Ottavia mit vor Wut verzerrten Klängen. Auch stark: die stählerne Stimme von Emiliano Gonzalez Toro als opportunistischer Arnalta.
Der heimliche Held des Abends ist der Philosoph und Politberater Seneca, gespielt von dem Bass Nahuel di Pierro. Mit seinem mahnenden Zeigefinger bringt er Nerone und Poppea gegen sich auf, bis hin zum Todesurteil. Der Philosoph fügt sich dem Schicksal, ja, scheint im Wissen um den nahenden Tod an Klarsicht zu gewinnen. Und doch, bei allem Stoizismus lässt sein stark timbrierter Bass auch Zweifel und eine tiefe Sehnsucht erkennen. Dieser Philosoph hat nichts zu verbergen.