Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (26.06.2018)
Begeisternder Saisonabschluss: Monteverdis «L’incoronazione di Poppea» am Opernhaus Zürich ist Musiktheater, in dem alles ideal zusammenkommt – ausser man sitzt am falschen Platz.
Oper scheint so einfach, wenn sie gelingt. Claudio Monteverdis «Krönung der Poppea» im Opernhaus Zürich ist dank der Genauigkeit der eigentlich einfachen Erzählweise und dank einer rundum grossartigen Besetzung so ein Glücksfall.
Regisseur Calixto Bieito und seine Bühnenbildnerin Rebecca Ringst durchbrechen im plüschigen Logenrund die Guckkastensituation, indem sie ein Oval als Spielfläche rund ums Orchester legen. Dazu sind die Proszeniumslogen mit Bildschirmen zugebaut. Darauf und auf der bühnengrossen Projektionsfläche an der Bühnenrückwand wird das Geschehen live abgebildet, alle inszenieren sich sogar im Moment des Todes auch für die allgegenwärtigen Kameras: Selfies bestätigen den Sozialstatus. Noch stärker wirken Sarah Derendingers Videos allerdings, wenn sie die Handlung kommentieren. Bildschirme und neue Spielfläche verbauen Zuschauerplätze, aber die werden dafür in einer Gegentribüne gewonnen. Wermutstropfen ist, dass vielen Plätzen in den oberen Rängen das zum Verhängnis wird, was unten eine grosse Stärke bedeutet: Die Unmittelbarkeit, die oben nur noch über die Bildschirme nachvollziehbar ist. Dabei würde die genaue Personenführung mit ihren feinen Parallelsetzungen auch ganz ohne diese aufwendige und tolle Technik funktionieren.
Bieito macht über weite Strecken gar nicht viel anderes, als die Figuren minutiös genau aus ihren Gefühlen zu entwickeln, wie sie Text und Musik vorgeben. Und das ist absolut heutig, auch wenn das Stück schon bald 380 Jahre alt ist und Kaiser Nero mit seinen Frauen die Hauptrollen spielen.
Grossartige Besetzung – in Spiel und Gesang
Er ist nämlich seiner Ottavia überdrüssig und will lieber Poppea, mit der er in heftiger und in Zürich auch heftig gewaltgeladener erotischer Anziehung verbunden ist. Der fulminante Counter David Hansen und Julie Fuchs spielen das mit unheimlicher Intensität, und mit mindestens gleich viel hält Stephanie D’Oustracs Ottavia subtil gestaltend dagegen. Das Orchestra La Scintilla unter dem italienischen Alte-Musik-Spezialist Ottavio Antone könnte sich durchaus mehr in den Vordergrund spielen. In Sachen Differenzierung und Fluss, der hier in den Übergangen zwischen rezitativischen und ariosen Teilen so wichtig ist, legen sie aber den Boden dafür, dass kein Blatt zwischen musikalische und szenische Interpretation passt. Die Fragen, wie Anziehung und Macht zusammengehören, der schockierende Effekt, dass die rücksichtlosen Machtmenschen sich nicht nur brutal durchsetzen, sondern auch die allerschönste Musik haben. Da ist Monteverdi auch ganz im Heute, das zeigt die Inszenierung bei aller Drastik vor allem erschreckend genau. Schade, ist nicht gleich eine Wiederaufnahme geplant.