Stephan Reuter, Basler Zeitung (15.09.2018)
Das Theater Basel geht mit «König Arthur», allen Sparten und grosser Geste in die Saison
Die Welt an sich: ein sauber ausgefegter Werkplatz, nur leider auch ein wenig öd und hohl, ein Finsterloch, solange unbelebt. Tritt hier ein Mensch hinein, lauern ihm gleich die grossen Fragen auf, nach dem Woher, nach dem Wohin, vom Wer und Wie und Wann der Existenz ganz zu schweigen. Ist dieser Mensch noch ein Magier, schafft er sich Licht, Kostüm und ein paar Wesen, die für ihn auf den Händen laufen, sich bis zur Erschöpfung überschlagen. Vielleicht, am Ende, sieht der Betrachter klarer. Zumindest, wenn er Merlin heisst.
Man merkt es wohl: Das ist der Prolog zu einem Zauberspiel. Ein Spiel zumal, für welches das Theater Basel so ziemlich alle verfügbaren Kräfte auf der Grossen Bühne versammelt hat. Andreas Becks Haus geht mit «König Arthur», allen drei Sparten, dem La Cetra Barockorchester, turnenden Kindern und weit ausladender Geste in die Spielzeit. Eine Spielzeit, die eigentlich schon die finale des amtierenden Intendanten ist, auch wenn das Finale noch weit und der Wechsel nach München, der sicherlich einige der beteiligten Akteure betrifft, Zukunftsmusik bedeutet. Aber gerade in einem Stück, in dem ein aus der Zeit gefallener Grossillusionist wie Steffen Hölds Merlin Regie führt, darf man am Anfang durchaus an das Ende denken. Die Zukunft ist offen, immer schon. Aber die Gegenwart: Das ist Theater, dem scheinbar wenig missglückt, das darstellerisch aus dem Vollen schöpft, das auch ein höfisches Märchenspektakel aus dem 17. Jahrhundert zeitgenössisch ausdeutet, ohne das Märchenhafte und das Spektakuläre zu verraten.
Weg mit patriotischem Pathos
Beginnen wir mit den Humanfaktoren: Vertrauen, Zweifel, Verrat und Missgunst, Liebe, Lüge, Lust und Krieg. Alles steckt drin in diesem Stück. Nur nicht der Artus-Mythos. Darauf haben schon Henry Purcell und sein Librettist, der Dichter John Dryden, verzichtet. Ihnen war mehr an Eintracht und nationaler Einigung gelegen. Kein Wunder, das britische Bürgerkriegstrauma und die Folgen waren knapp überwunden, die Glorious Revolution noch unsouverän. Die Basler Neudichtung schippt das patriotische Pathos beiseite. Der österreichische Inhouse-Dramatiker Ewald Palmetshofer interessiert sich vor allem für die Ohnmacht der Mächtigen, in politischem wie in privatem Umfeld.
Weil Palmetshofer ein Sprachgefühl zum Mit-der-Zunge-Schnalzen hat, besteht die Neufassung des Texts die Begegnungen mit Purcells Originalmusik glänzend. Dass aus der Semi-Oper ein Schauspiel mit Musik geworden ist, entwickelt seinen eigenen Reiz. Und dass die Inszenierung mit der Abfolge von Airs und Arien aus der Vorlage freihändig verfährt, ist auch kein Schaden. La Cetra unter der Leitung von Christopher Moulds klingt nach anfänglichen Wacklern immer freier, immer luftiger. Der fantastisch ausstaffierte Theaterchor (überhaupt, die Kostüme: Bravo, Anja Rabes!) und die geschickt ins Geschehen integrierten Solisten sind nah dran an Purcells Unsterblichkeit, allen voran die Trugbild-Duos mit dem italienischen Bass Riccardo Fassi und der irischen Sopranistin Sarah Brady. Nur in den Tanzsequenzen, da wirken die Akteure aus dem Ballett Basel choreografisch nicht gerade überfordert.
Als König Arthur Merlins Bühnenwelt betritt, weiss das Publikum schon um die Herkulesaufgabe, die seine Offizierschorus-Line (Nils Rovira-Munoz, Frank Fannar Pedersen, Javier Rodriguez Cobos) von ihm erwartet: die Sachsen rauswerfen, die Neuen, Fremden, samt ihren Besitzansprüchen. Man weiss das von Martin Hugs Graf von Cornwall. Dem klebt nicht nur das Ordensblech an der Brust, dem klebt auch reichlich Kriegsveteranenrhetorik am Gaumen. Zu dem jugendlichen Schlacks, den Elias Eilinghoff vorstellt, passt so viel royale Verantwortung auf den ersten Blick schlecht. Eilinghoffs Arthur scheint stets an der Grenze zur schicksalhaften Überforderung zu taumeln, zu hadern – und dennoch auch daran zu wachsen, zu seinem eigenen Erstaunen. Einstweilen gerät ihm schon eine Liebeserklärung an Cornwalls Tochter Emmeline (Lisa Stiegler) windschief. Wie soll das erst mit Regierungserklärungen werden?
Ein Krieg der Worte
Oswald, der Sachsenkönig, ist aus härterem Holz. Michael Wächter braucht nur im Aran-Wollpulli an der Rampe zu rauchen, nur zu betonen, dass er des Wartes auf die Gunst von unsichtbaren Göttern überdrüssig sei. Schon ahnt man, dass dieser Mann gefährlich ist wie seine Ziele. Die Priesterinnen, die für sein Schlachtenglück Menschen in Stahlwannen opfern, küsst er heiss. Wiewohl auch ihn das Begehren hin zu Emmeline treibt, der blinden Schönheit, die einzig auf den Klang der Stimmen hört. Und bei Arthur und bei Oswald hört sie: Zorn.
Was Menschen wie Übermenschen in dieser Geschichte prägt: Irrtum, Irrsinn, Illusionen. Wir verfolgen einen spielerischen Krieg der Worte, dem der Ernst des Lebens noch gewaltig zusetzt. Die Schlacht ist kurz, die Sachsen unterliegen, aber das «Victoria» aus dem Munde des verwundeten Tenors Hyunjai Marco Lee klingt brüchig, und der Chor schwenkt die Union Jacks allenfalls auf Halbmasthöhe. Die Untoten tanzen verrenkt, Merlin schaut melancholisch, ein Engel klagt zum Steinerweichen (Sopran: Leela Subramaniam). Nur die Herzen, die versteinerten, die erweichen nicht.
Weil nun aber eingangs erwähnte Humanfaktoren auch für Zauberer und andere Zwischenwesen gelten, hält Stephan Kimmigs Regie den Abend schön in der tragikomischen Balance. Das ist dann wie bei Shakespeare. Hier der Erdgeist, Vincent Glanders calibanesker Grimbald, dem kein Auftrag zu niederträchtig ist. Dort ein Luftikusgeist namens Philidel (Carina Braunschmidt), deren sympathisch verbummelte ADHS-Symptome auch dazu beitragen, dass der Abend vier Stunden dauert. Zugleich wäre es zu schade, hätte Philidel die Bannflüche des Sachsenhexers Guillamar vorzeitig entschlüsselt und Max Mayer um seinen grossen Auftritt und seine noch grössere Niederlage gebracht. Guillamar fängt Emmeline, bootet Oswald aus, macht sich selbst mit virtuoser Unverschämtheit an die Prinzessin ran. Allein, Emmeline ist – bei Lisa Stiegler und bei Ewald Palmetshofer – Frau genug, so einem notgeilen Zauberwicht eine handfeste Lehre zu erteilen.
Wenn man der Inszenierung eines vorwerfen will, dann dies: Mit dem Nummernhaften, das einer barocken «Dramatick Opera» ja keineswegs fremd ist, hat auch sie zu kämpfen. Bisweilen zerfällt die Szenenfolge ein wenig. Der Showdown im blutroten Sprühnebel entschädigt vollauf. Im Moment der Ermattung packt Merlin die Gelegenheit zum Friedensschluss. Dann hat er ausgespielt. Wer weiss, was wird, wenn diese Könige wieder bei Kräften sind.