Marco Stücklin, Opernmagazin (25.09.2018)
Franz Schreker, bezeichnete sich selber als hin- und hergerissen zwischen all den Künsten und Erwartungen. «Ich bin auf jeden Fall ein Fall» sagte er von sich. Doch ab 1933 wurde es still um Schreker und seine Musik wurde als «entartet» bezeichnet. Bis 1979 wieder eine Neuentdeckung stattfand und «Die Gezeichneten» Ihren Weg ins Repertoire einiger Häuser fand.
Diese musikalisch sehr aufwändige Oper, welche ein riesiges Orchester benötigt um all die vielen Facetten dieser Musik zum Glänzen zu bringen, ist eine große Herausforderung an alle Beteiligten. Die oft orgiastisch und schillernde Musik, bezaubert auch heute noch durch ihre Vielfältigkeit. Man kann sich an Wagner, Strauss und Mahler erinnern.
Die Handlung erzählt die Geschichte des verkrüppelten Edelmannes Alviano Salvago, welcher eine Insel vor Genua besitzt, wo er eine Traumwelt errichten liess, die den Garten Eden der Kunst darstellen soll. Diese Insel «Elysium» betritt er allerdings selber nie. Dafür nutzen die Genueser adligen Männer diesen abgelegenen Platz, heimlich für Ihre Lustbarkeiten, die in den Katakomben ausgelebt werden. Es werden entführte Bürgerstöchter geschändet.
Zum Schrecken dieser Männer beschliesst Salvago eines Tages, diese Insel der Öffentlichkeit zugängig zu machen. Dies wollen die Edelmänner verhindern und rufen Graf Tamare auf den Plan, welcher Salvago umstimmen soll. Graf Tamare erzählt von einer unbekannten Schönen welche er erblickt hat. Er ist verliebt in die Unbekannte. Nun kann eine Entdeckung der Schandtaten nicht mehr verhindert werden.
Carlotta, eine Künstlerin und die zweite von Krankheit geplagte Figur in dieser Oper, möchte Salvago gerne als Model gewinnen und umgarnt ihn unter Vortäuschung von Liebe. Dieser willigt ein und besucht Carlotta im Atelier, wo sie sich gegenseitig die Liebe erklären. Hier treffen sich die dem Titel der Oper verbundenen Gezeichneten.
Doch sobald das Bild fertig ist wendet sich Carlotta von ihm ab und Graf Tamare zu. Als die Bürger die Insel betreten dürfen, sind diese von deren Schönheit begeistert. Salvago hält um die Hand von Carlotta an. Sie lenkt ab und geht auf einen Spaziergang. Hier begegnet Sie Graf Tamare, welcher Sie in die Liebesgemächer führt und verführt. Salvago wird bezichtigt die Entführungen auf die Insel geplant zu haben. Doch das Volk glaubt dem Grafen nicht und Salvago muss fliehen. Er findet Carlotta bewusstlos im Bett und Tamare an Ihrer Seite. Dieser demütigt Salvago, worauf dieser ihn in Wut ermordet. Carlotta erwacht aus Ihrer Bewusstlosigkeit und ruft nach Tamare um mit ihm zu sterben.
Salvago verfällt dem Wahn.
Barrie Kosky verlegt die Handlung in eine Skulpturenhalle im Palast von Alviano Salvago. Die sich drehende armlose Figur während der Ouvertüre symbolisiert bereits den verkrüppelten Salvago, der in dieser Inszenierung als Mann ohne Hände gezeigt wird. Nach kurzem Szenenwechsel, befinden wir uns dann in einem mit vielen Statuen gefüllten Salon. Der Kontrast von versteinerter Schönheit und dem „Gezeichneten“ ist somit besonders eindrücklich.
Wenn dann in der Atelierszene Carlotta von einer Freundin erzählt, welche immer nur Hände malte und damit sich selbst beschreibt, wird diese Verstümmelung Salvagos nachvollziehbar. Als Carlotta, die hier nicht als malende, sondern formende Künstlerin wirkt, Salvago die beiden von Ihr geschaffenen Hände aufsetzt, erreicht dieser Moment eine gruselige, ergreifende Stimmung, die auch musikalisch wunderbar umgesetzt ist.
Der sonst als orgiastisch umstrittene 3. Akt wird bei Barrie Kosky zum Drama dieser Dreiecks-Beziehung Salvago/Carlotta/Tamare und zeigt auch die Falschheit der adligen Freunde, welche Salvago verhöhnen und anklagen. Hände werden auch wieder sichtbar auf Lichtprojektionen und hinter milchigen Wänden.
Die Chorszenen sind sehr eindrücklich in Ihrer Kürze und zeigen die Wandelbarkeit zwischen Jubel und Verurteilung. Wenn dann unheimliche Gestalten den leidenden übel herrichten und dieser von Tamare noch verlacht wird, eskaliert diese Situation im Mord an Graf Tamare.
Carlotta erscheint als unter einem Schleier wandelnde, dem Tode entgegen schreitende Gestalt auf der Suche nach Graf Tamare. Salvago verfällt dem Wahnsinn und wird selbst zu einer schrecklichen Statue auf einem Podest. Der Kreis zur am Anfang sich drehenden armlosen Statue schließt sich wie der Vorhang.
Das Bühnenbild und die Lichtgestaltung, sowie die Kostüme unterstreichen diese kalte Ästhetik. Ein grosses Lob an die Werkstätten, welche die Canova-Kunstwerke wunderbar umgesetzt haben.
Dem Opernhaus Zürich stehen ausgezeichnete Sänger zur Verfügung. Außer Salvago und Carlotta, handelt es sich ausschließlich um Rollendebütanten.
An erster Stelle ist der Tenor John Daszak zu nennen, der sich mit unglaublicher Intensität mit dieser anspruchsvollen Rolle als Salvago auseinandersetzt und eine anrührende und beklemmende Person verkörpert. Seine Stimme ist in allen Facetten gefordert und scheut auch vor unschönen Tönen nicht zurück. Eine tolle Leistung.
Carlotta wird von Catherine Naglestad gesungen, welche bereits im vergangenen Jahr in München diese fordernde Rolle interpretiert hat und laut eigenen Aussagen, in dieser Inszenierung ganz neue Ansätze gefunden hat. Auch Sie ist eine Gezeichnete und gibt mit aller Stimmkraft die Hin – und Hergerissene, was die Grenzen des Hauses manchmal sprengt.
Graf Tamare wird vom Bariton Thomas Johannes Mayer mit viel Einsatz und starker Stimme als Macho gespielt. Der Kontrast zu Salvago könnte nicht grösser sein und in den gemeinsamen Szenen findet dieser Kampf um Carlotta seinen Höhepunkt.
Christopher Purves ist mit seinem Bariton ebenfalls bestens besetzt und besticht auch durch sein schauspielerisches Talent.
Albert Pesendorfer singt und spielt die Rolle des Lodovico Nardi glaubhaft und mit Ausdruck.
Auf der Besetzungsliste sind noch einige Rollen die hier zusammengefasst erwähnt werden:
Die sechs adeligen von Genua verkörperten Oliver Widmer, Ruben Drole, Ildo Song, Cheyne Davidson, Paul Curievici und Iain Milne. Die Falschheit dieser Rollen, wurde von allen sehr gut interpretiert.
Jungrae Noah Kim, Thobela Ntshanyana, Sen Guo sowie Nathan Haller, Dean Murphy und Alexander Kiechle vervollständigten dieses Ensemble.
Die PHILHARMONIA ZÜRICH wurde von Vladimir Jurowski durch die Wogen der Partitur geführt, welche auch um einiges gekürzt wurde, was der Aufführung sehr gut bekommt, obwohl man sich natürlich streiten darf, wie viele Striche erlaubt sind. Es ist eine Herausforderung für den großen Orchesterapparat diese vielfältige Musik zu vermitteln. Teilweise überbordet die Lautstärke. Das Debut dieses sehr talentierten Dirigenten lässt auf eine Wiederbegegnung hoffen.
Das Premierenpublikum zeigte sich von dieser, den meisten Besuchern wohl bisher unbekannten Oper sehr beeindruckt und begeistert. In den großen Applaus wurden alle Mitwirkenden einbezogen und mit Bravos belohnt.