Simon Bordier, Basler Zeitung (06.11.2018)
Trotz Hausarrest: Der Regisseur Kirill Serebrennikow inszeniert Mozarts «Così fan tutte» in Zürich
Moskau, mon amour, hat entschieden: Der Regisseur Kirill Serebrennikow stört (zu modern, zu mächtig, zu homosexuell) und muss unter Hausarrest in der russischen Hauptstadt bleiben. Er darf zwar wie geplant Mozarts «Così fan tutte» am Opernhaus Zürich inszenieren, muss das Stück aber von zu Hause aus koordinieren, ohne Telefon und Internet. Was bleibt, ist die Kommunikation über einen Anwalt. Er leitet Serebrennikows Regie-, Bühnen- und Kostümanweisungen nach Zürich weiter und die Fragen der Zürcher nach Moskau zurück. Ein ausserordentlicher Vorgang, der dem Opernhaus in den letzten Tagen viel Aufmerksamkeit beschert hat; noch selten hat sich die Weltpresse so sehr für Mozarts letzte Da-Ponte-Oper interessiert. Am Sonntag nun war Premiere.
Erster Befund: Der Regisseur hat seinen Humor nicht verloren. Serebrennikow und sein Vertrauensmann Evgeny Kulagin, der die Umsetzung in Zürich verantwortet, zeigen die Gesellschaftskomödie in einem modernen, neureichen Umfeld. Man ist jung, erfolgreich und trainiert fleissig: Die Männer stemmen unten in der zweistöckigen Bühne Gewichte, während sich die Frauen eine Etage höher auf Laufbändern abstrampeln.
Herrliches Trio infernale
Hinzu kommt das «Sous-sol»: Der Orchestergraben ist nicht gedeckt, und so kann sich die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Cornelius Meister fein und agil ins Bühnengeschehen einbringen. Die Koordination über drei Etagen gelingt fabelhaft, der Klang des teils mit historischen Instrumenten bestückten Orchesters ist transparent, ein Continuo-Duo begleitet frisch und frech, und das Spiel mit Symbolen der Wohlstandsgesellschaft (Espressomaschine, Kücheninsel) nimmt wie von selbst seinen Lauf.
Zumal die Solisten glänzen: Frédéric Antoun in der Rolle des Ferrando, Andrei Bondarenko als Guglielmo und Michael Nagy als Don Alfonso bilden ein herrliches Trio infernale. Als kecke Despina ist die Sopranistin Rebeca Olvera zu hören, die in der Rolle allerdings nicht ganz so überzeugt wie derzeit Maya Boog in der Dornacher «Così»-Inszenierung.
Doch es locken Anna Goryachova und Ruzan Mantashyan als Geschwister Dorabella und Fiordiligi. Vor allem Mantashyan fällt mir ihrer stark timbrierten, von tiefen Lagen bis in glockenhelle Sphären leicht geführten Stimme auf. Auch ihren leidenschaftlichen Wutausbrüchen kann man sich kaum entziehen.
Um die Komödie wirkungsvoll zu inszenieren, hat Serebrennikow den Plot etwas umgearbeitet. Für gewöhnlich lassen die Protagonisten Guglielmo und Ferrando ihre Geliebten Fiordiligi und Dorabella im Glauben, in den Krieg gezogen zu sein – und kehren verkleidet zurück, um die Treue der Damen zu testen. Nur: Die Idee, dass die Frauen auf die Tarnung hereinfallen und sich bald in den Freund der jeweils anderen verlieben, wirkt unglaubwürdig.
Serebrennikow kennt das Problem und löst es radikal: Er schickt die beiden nicht in den Krieg, sondern in den Tod. Die zwei Singstimmen erklingen in der Folge wie aus dem Jenseits, zurück bleiben lediglich zwei triebgesteuerte Körper. Und diese werden nicht von den Sängern selbst, sondern von zwei Doubles, Schauspielern, interpretiert.
Überraschung zum Schluss
Die Abspaltung in Sing- und Körperrollen macht die Bühnenhandlung nicht eben übersichtlicher. Aber das ist auch nicht schlimm. Serebrennikow und Kulagin – von Haus aus Choreograf – setzen ganz auf Situationskomik und viel schwarzen Humor, den man sehr wohl versteht. Originell wirkt der Einfall, Guglielmo und Ferrando am Schluss zu tragischer Musik aus Mozarts «Don Giovanni» aus dem Totenreich wiederkehren zu lassen: Wie der steinerne Komtur treten die beiden rachelüsternen Gestalten aus dem Dunkeln.
Die Oper müsste konsequenterweise mit diesem Coup enden. Dass das Geschehen dann doch wieder ins vertraute «Così fan tutte» einschwenkt, hinterlässt einen höchst diffusen Eindruck. Aber dies wie auch die etwas zu opulente Bühnenausstattung kann man als Folge künstlerischen Eifers verzeihen. Es gab denn auch langen Applaus. Der galt nicht nur den Anwesenden, sondern auch Serebrennikow, der offiziell der Veruntreuung öffentlicher Gelder bezichtigt wird, aber wohl aus anderen Gründen zu Hause sitzen muss. Zum Glück konnte auch er auf Doubles zählen: Die Protagonisten nahmen den Beifall in T-Shirts mit dem Konterfei Serebrennikows und der Aufschrift «Free Kirill» entgegen.