Ein Plädoyer für die Frau

Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (27.09.2005)

Ledi Macbet Mzenskowo ujesda, 25.09.2005, Zürich

Regisseur Klaus Michael Grüber erzählt am Opernhaus Zürich Schostakowitschs Oper «Katerina Ismailowa» schlüssig und spannend.

Kopfüber hängen Zwiebeltürme hoch oben über dem Tisch, auf den die unglücklich verheiratete Kaufmannsfrau Katerina ihre Patience-Karten legt. Symbolhaltig ziert ein aufgemaltes Schwein den Prospekt, vor dem im Hof der Ismailows Arbeiter die Köchin begrabschen und drangsalieren. Zur Groteske formieren sich die Gendarmen und der Kreispolizeichef mit den gelängten Schnurrbärten. Die Tableaus mit der Hochzeitstafel von Katerina und Sergei und später vom Feld mit den Zwangsarbeitern atmen etwas Zeitlos-Archaisches.

Zwischen stilisierender Abstraktion und Realismus, zwischen Anklage und Groteske finden die Bilder in der Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs (1906-1975) «Katerina Ismailowa» am Opernhaus Zürich einen überzeugenden Weg. Überhaupt wirkt nichts aufgepfropft bei Klaus Michael Grüber und Ellen Hammer (Regie), Francis Biras (Bühne) und Eva Dessecker (Kostüme). So fügt sich das Ganze zu einem schlüssigen Stationendrama mit weiträumigen Spielflächen ohne billigen folkloristischen Putz und mit einer Personenführung, die die Charaktere markant herausstellt und spannend die Fabel entwickelt. Das Werk geht auf die Erzählung «Lady Macbeth von Mzensk» von Nikolai Leskow zurück, 1865 wurde die Geschichte verfasst.

Diese handelt von der gelangweilten und unterdrückten Katerina Ismailowa und davon, wie sie, je mehr Peiniger sie umbringt, desto unaufhaltsamer auch ihr eigenes Ende befördert. Die Sopranistin Solveig Kringelborn gestaltete daraus an der Premiere in bester singdarstellerischer Union von vokalen und schauspielerischen Anteilen das Schicksal einer Frau, die zum Morden geradezu getrieben wird, aber darob, in Not ein Dennoch-Restglück erzwingend, sich selbst abhanden kommt und zum bitteren Ende ins Wasser geht.

Mit kraftvoller Tenorstimme und körperbetontem Spiel gab Viktor Lutsiuk Katerinas Liebhaber und dann unwürdigen zweiten Ehemann Sergei als einen wie von Kräften ausserhalb seiner selbst gesteuerten Triebmenschen.

Bei Alfred Muff war Katerinas Schwiegervater ein Ekelpaket von wahrhaft diabolischem Format und von resonanzreichem Bass. Das Pandämonium der zahlreichen weiteren Figuren und Nebenfiguren wirkte farbenreich typisiert. Den Chor hat Ernst Raffelsberger sauber präpariert.

Die musikalische Protagonistenrolle dieses Abends wurde gewissermassen im Graben wahrgenommen. Gezackte Linien von Blechbläserfanfaren, grotesk grummelnde Fagottsoli, süsslich schmachtende Streicher, lärmmusikalisch dröhnende Tutti-Flächen: Der russische Dirigent Vladimir Fedoseyev und das gut disponierte Orchester liessen die collageartig aneinander geschnittenen Stilzitate wirkmächtig aufeinander prallen und bündelten die in der Partitur angelegten Kraftlinien. Ein besonderes Gewicht erhielten die Zwischenspiele, die - Personencharakteristiken und Kommentare - gleichsam zu Miniatursinfonien gerieten.

Die Musik Schostakowitschs geht ja direkt ins Blut, ist von dünnsauciger Moderne weit entfernt. Und bei aller handlungsbezogenen Emblematik erschöpft sie sich nicht in rein abschildernden Klangmalereien, sondern dringt vor zu starken Aussagen. Die Zwischenspiele vermöchten so auch im Konzertsaal für sich zu bestehen.

Welche Fassung ist die richtige?

Die 1963 uraufgeführte und geglättetere «Katerina Ismailowa», die etwas humaner einherkommt, weniger einem Versimo-Schocker nahe ist? Oder besser gleich die in Wort und Ton drastischer intonierte 30 Jahre ältere «Lady Macbeth von Mzensk», unter anderem mit ausgeprägter Bettszene? Im Vorfeld der Premiere ist eine Diskussion darüber aufgekommen, weshalb denn das Opernhaus Zürich nicht die «Lady Macbeth» - bei der es sich im Kern um die gleiche Oper handelt - gewählt habe. Die Frage leitet umstandslos, und wie so oft im Falle von Schostakowitsch, auf ein vermintes Gelände. Schon sehr früh haben Modifizierungen eingesetzt. Und trotz der Zwänge unter einem totalitären Regime: Äusserungen des Komponisten zufolge könnte dieser seine «Katerina Ismailowa» aus der «Tauwetter»-Periode favorisiert haben. Freilich sollte Zürich jetzt eine der «Urfassungen» zur Diskussion stellen. Wie übrigens schon 1936 geschehen.