Anna Kardos, Aargauer Zeitung (30.04.2019)
In Zürich macht Regisseur Jan Philipp Gloger aus einer Rossini-Komödie ein kleines Opernwunder
Liebe ist das schönste aller Gefühle, zumindest bis zu jenem Reifegrad, wo sie den Vornamen «eheliche» vorangestellt bekommt und sich ab dann hinter Wäschebergen, flächendeckend verstreutem Playmobil-Spielzeug und selbst gebackenen Guetzli zu verstecken lernt. Das weiss auch Fiorilla, eine junge Ehefrau mit nicht ganz jungem Ehemann. Und sie lässt nichts unversucht, um das schönste aller Gefühle zu erhalten – ob mithilfe billiger Ratgeberliteratur oder mit jener des knackigen Hauswarts Narciso. So weit, so Rossini’sch. Aus dessen Komödie «Il turco in Italia» («Der Türke in Italien») stammt die eingangs beschriebene Liebes-Konstellation, die am Zürcher Opernhaus von Regisseur Jan Philipp Gloger auf die Bühne gezaubert wird. Wobei «gezaubert» eine glatte Untertreibung ist.
Theaterwunder geschehen manchmal unverhofft. Und bei dieser Aufführung standen die Zeichen nicht wirklich auf Wunder – zumindest nicht, wenn man vom Werk ausging. Zwar war Rossini ein lustvoll-virtuoser Komponist und auch ein liebevoller Komiker. Nur, dass er den «Il turco in Italia» aus Zeitgründen nicht durchgehend selbst komponierte. Dementsprechend gilt das Werk als keines seiner besten. Für Regisseur Jan Philipp Gloger (*1981) ist es aber die beste aller Vorlagen. Der deutsche Regisseur und Direktor des Staatstheaters Nürnberg erklärt im Programmheft: «Diese Musik schreit nach Regie», und meint, es sei die Tragikomik der Figuren, bei der er gern ansetze.
Das höchste der Gefühle
Davon gibt es an diesem Abend genug. Da ist etwa der gemütliche Ehemann Don Geronimo (liebenswert wie sensibel gesungen von Renato Girolami), der seine junge Frau liebt, sich jedoch die Ehe mit ihr etwas anders vorgestellt hat. Da ist Narciso (mit umwerfend tenoraler Inbrunst: Edgardo Rocha), der ebendieser Ehefrau das amouröse Knistern nachreicht, welches ihr in der Ehe abhandenkommt, und da ist Fiorilla (wunderschön gesungen und grossartig gespielt von einer phänomenalen Julie Fuchs), der es in erster Linie um die Liebe an sich geht – bei den Protagonisten und Statisten für das höchste aller Gefühle gibt sie sich nicht ganz so wählerisch und konstatiert erstaunt, sobald ihre Anstrengungen Früchte tragen: «Es ist ja ganz einfach, einen Türken zu verführen!»
Der Türke heisst Selim (Nahuel Di Pierro hat am Opernhaus schon als Osmin brilliert, auch seinen Selim verkörpert er umwerfend charismatisch und musikalisch). Er wiederum hat, von einer Intrige getäuscht, seine Verlobte Zaida (Rebeca Olvera) verstossen und sucht ausgerechnet in Italien Zerstreuung – wo sich ganz zufällig ebenfalls Zaida aufhält. Und als wäre das nicht genug, ist da auch noch ein Autor (authentisch verkörpert von Pietro Spagnoli), der auf der Suche nach einem Komödienstoff gerne ein wenig Schicksal spielt.
Lauter liebenswert-launische Existenzen also auf der Suche nach dem persönlichen Glück – und mit viel Potenzial zum Scheitern. Sie alle bringt Bühnenbilder Ben Baur auf einer Drehbühne in einem Appartement-Haus unter, das intime Einblicke gewährt und eindrückliche sowie ausdrückliche Symmetrien schafft. Dass Rossinis Oper voller Duette, Terzette, Quartette steckt, in denen der Komponist mit den Gesangsstimmen ähnlich parallel verfährt, macht den Spass perfekt. Denn wenn zwei dasselbe singen, ist es deswegen noch nicht dasselbe. Hier setzt Glogers Inszenierung an. Und sie bringt Gefühle, Handlungen und Andeutungen mit so viel Fingerspitzengefühl und Meisterschaft transparent übereinander zu liegen, dass ein schillerndes Gesamtes entsteht, bei dem die Musik nicht nur mit Psychologie und Witz verschmilzt, sondern sich die drei gegenseitig befruchten.
Vielleicht auch, weil das gesamte Ensemble spielt, als gäbe es neuerdings auch Opern-Oscars zu gewinnen: Da sprechen zitternde Zigaretten Bände – und die Hände von Fiorilla und Selim eine eigene Sprache. Da prallen Kulturen und Temperamente virtuos choreografiert aufeinander – immer im Einklang mit der Musik, der Dirigent Enrique Mazzola und die Philharmonia Zürich Leichtigkeit und die Lizenz zum Kommunizieren verleihen.
Vielleicht sind Mazzola, Gloger und Rossini verwandte im Geiste. Denn alle drei verbindet die Kunst, virtuos lustvoll zu sein, sowie das Wissen darum, dass Oper oft dann am schönsten ist, wenn sie sich selbst nicht allzu ernst nimmt.