Oliver Schneider, DrehPunktKultur (25.06.2019)
Das Opernhaus Zürich schließt die Saison mit Verdis Nabucco ab. Fabio Luisi dirigiert ihn mit Verve, für die klare Personenzeichnung ist Intendant Andreas Homoki verantwortlich. Großer Jubel für alle Beteiligten.
Giuseppe Verdi war unbestrittenermaßen ein Protagonist der nationalen Einigung Italiens im 19. Jahrhundert. Inwieweit sich aber seine politische Haltung und die historische Entwicklung in seinem Nabucco wiederspiegeln und welche Rolle der Gefangenenchor damals wirklich spielte – und aus welchen Gründen er seitdem immer wieder für politische Demonstrationen verwendet wird – sind Fragen, denen die Zürcher Neuproduktion zwar nicht nachgeht. Aber das gut zusammengestellte Programmheft bietet für den Interessierten ausreichend Material, das Antworten auf diese Fragen gibt.
Andreas Homoki erzählt vielmehr klar auf die Protagonisten konzentriert den innerfamiliären Machtkampf zwischen Abigaille, Fenena und ihrem Vater Nabucco vor dem Hintergrund einer sich gegen die Aristokratie – die Babylonier – auflehnende Bourgeoisie – die Hebräer. Die Kostüme (Wolfgang Gussmann und Susana Mendoza) deuten an, dass man sich im Italien zur Zeit des Risorgimento befinden könnte. Gespielt wird aber auf einer neutralen, halbrunden Bühne, auf der lediglich eine in Grüntönen marmorierte Wand als Raumbegrenzung und als Symbol für die Bedrohung des Volkes durch die herrschenden Adeligen dient.
Georg Zeppenfeld, der zuletzt in Salzburg als Hans Sachs reüssierte, besitzt mit seinem Barett als hebräischer Hohepriester Zaccaria nicht nur Züge eines bourgeoisen Intellektuellen, sondern ist auch ein religiöser Fanatiker, genau wie sein heidnisches Pendant, der Oberpriester Baals (rollendeckend Stanislav Vorobyov). Zeppenfeld stattet den Priester mit noblem Timbre aus, ohne dabei den fanatischen Eifer des Glaubensführers in Gesang und Spiel zu vernachlässigen.
Michael Volle gibt sein mit Spannung erwartetes Rollendebüt als babylonischer König Nabucco. Und er lässt Nabuccos sich verstärkende Persönlichkeitsstörung mit vollem Körpereinsatz als zwingende Entwicklung ausgelöst durch den Tod seiner Frau erscheinen. Er durchlebt die seelischen Schmerzen wegen ihres Todes, den Kampf zwischen den Aristokraten und den Bürgern, der sich durch Abigailles Parteinahme für den Adel bis in seine engste Familie zieht, und die Entmachtung durch seine eigene Tochter, nachdem er zeitweise dem Wahnsinn verfallen ist, physisch und mit vokaler Stärke. Wobei er sich auch nicht scheut, fahle Töne anzuschlagen.
Darstellerisch sind seine Töchter ihm nicht ebenbürtig. Vor allem Anna Smirnova als Abigaille bewegt sich mehr matronenhaft als eine nach Macht und Einfluss strebende Frau in ihrem grünen Reifrock, der sie als Vertreterin der Aristokratie kennzeichnet. So wohlklingend ihre breite Mittellage ist, so störend sind ihre angestrengten, scharfen Spitzentöne, vor allem im ersten Teil des Abends. Sowohl darstellerisch als auch stimmlich wirkt Veronica Simeoni in der Rolle der Fenena überzeugender. Benjamin Bernheim ist ein prächtiger Ismaele mit voller Stimme und viel Schmelz, der zu Beginn ein bisschen zu viel Stimme für das kleine Opernhaus Zürich gibt. Schade, dass Verdi dem heimlichen Geliebten Fenenas keine zentralere Rolle zugedacht hat.
Diese hat ohnehin neben Nabucco und seinen Töchtern der Chor inne, der durch den Zusatzchor des Hauses verstärkt wird. Zusammen bestechen sie durch ihren geschlossenen, abgestuften Gesang und ihre szenische Einbringung (Einstudierung: Janko Kastelic). Dank der choreografischen Mitarbeit durch Kinsun Chan bleibt der Gefangenenchor in Erinnerung, wenn sich die Bürger zunächst am Boden liegend langsam über die schwach werdende Abigaille erheben und sie in ihrem Machtgebaren verunsichern. Fabio Luisi, Noch-Generalmusikdirektor des Opernhauses, hat die Philharmonia Zürich und das Geschehen auf der Bühne fest im Griff und gestaltet den frühen Verdi impulsiv, dynamisch und nuancenreich.