Joseph Auchter, seniorweb (04.11.2019)
Georg Friedrich Händels Oratorium „Belshazzar“ hatte im Opernhaus Zürich Premiere. Die musikalische Umsetzung war brillant, doch szenisch ist es ein zu üppiges Potpourri. Ein Oratorium ist halt keine Oper, der Aufwand mit der Brechstange letztlich kontraproduktiv.
Sie erinnern sich vermutlich alle an ihre Schulzeit, wo Sie mit Inbrunst Heinrich Heines hochdramatische Ballade „Belsazar“ aus dem Jahre 1820 rezitierten: „Die Mitternacht zog näher schon, in stiller Ruh’ lag Babylon. Nur oben in des Königs Schloss, da flackert’s, da lärmt des KönigsTross…“ Das Gedicht beruht auf einer biblischen Erzählung aus dem Buch Daniel, das auch Händels Librettisten Charles Jennens inspirierte. Allerdings ergänzte er auch Textpassagen aus dem 1. Buch Mose, aus Judit und Jeremias. Der erfolgreiche Opernkomponist rackerte 1745 im Eilzugstempo zwei Oratorien zusammen, weil ihm einerseits das englische Publikum für die italienisch gesungenen Opern zunehmend die Gefolgschaft verweigerte und ihm anderseits die Intrigen und das finanzielle Fiasko ans Nervenkostüm rührten. Das Bildungsbürgertum bestand neuerdings auf der englischen Sprache, und sein Wunsch war Händel Befehl.
Wenn ein Oratorium operngerecht inszeniert werden soll
Die mehrteilige Vertonung einer zumeist geistlichen Handlung, verteilt auf Solisten, Chor und Orchester, bewährt sich in unseren Konzertsälen bis auf den heutigen Tag. Ob rein konzertant oder halbszenisch wiedergegeben, die oft etwas statische Vernetzung der Handlung und die charakterliche Entwicklung der Figuren ist weniger stringent als in der Oper. So ist Verdis „Nabucco“, auch ein alttestamentarischer Stoff aus dem babylonischen Umfeld, ganz anders verzahnt und im Vergleich zu Belshazzar von unwiderstehlicher Kohärenz.
Händel wusste allerdings sehr wohl, wie er Spannungsbögen erzielen und durch die virtuos zupackende Barockmusik das Kino im Kopf bewerkstelligen konnte. Wenn nun Sebastian Baumgarten, in Zürich als umtriebiges Regie-Gesicht bekannt, andauernd mit der Kamera herumfummelt und jede Sekunde mit Leinwandgeflimmer Bildkaskaden lostritt, dann entsteht daraus eine betriebsame Hektik, welche die Konzentration auf die Musik empfindlich stört. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Ist es schon anspruchsvoll genug, die drei Chöre der Babylonier, Perser und Juden (ganz ausgezeichnet einstudiert durch Janko Kastelic) in die szenische Abfolge einzugliedern, braucht es den Video-Schnickschnack mitnichten. Wer der Musik nicht traut, ihre eigene Geschichte zu bebildern, der soll die Finger davon lassen. Es ist in letzter Zeit geradezu zur Masche verkommen, Theater und Film dank moderner Videotechnik andauernd zu vermengen, um scheinbar Spannung aufzubauen. Der Schein trügt.
Dass deutscher Humor mit englischem nicht kompatibel ist, zeigt sich am peinlichen Dauerbesäufnis der Babylonier. So torkelt halt Belshazzar unentwegt mit der Schnapsflasche herum, als ob die Dekadenz nur so abzubilden wäre. Die Kostümbildnerin Christina Schmitt steckt seine Untertanen in orientalische Hippie-Klamotten, derweil die Perser unter ihrem Anführer Cyrus in schwarzer Lederkluft und die Juden mit Konterfeis von Geistesgrössen oder Kulturträgern wie Marx, Einstein, Kafka, Anne Frank, Bob Dylan oder Leonhard Bernstein aktualisiert und etikettiert daherkommen.
Händel, Händel und nichts als Händel
Der Glücksfall spielt sich mit den Musizierenden von La Scintilla einmal mehr im Orchestergraben ab. Die verschworene Gemeinschaft unter Ada Pesch macht es dem Händel-Experten Laurence Cummings leicht, seine irisierende Barockmusik wunderbar aufgeraut zum inspirierenden und zündenden Klangerlebnis werden zu lassen.
Von den Solisten kann ich nur einige wenige kurz erwähnen. Der neue Stern am Himmel der Countertenöre ist der Pole Jakub Józef Orliński, der sein Stimmmaterial und seine Bühnenpräsenz als Anführer der Perser souverän in die Waagschale wirft. Auch Mauro Peter weiss als Titelfigur gesanglich zu überzeugen, während Laila Claire als seine Mutter Nitrocis ihre Partie zu einfärbig und in der Lautstärke zu wenig differenziert gestaltet. Der zu den Persern überlaufende Gobrias von Evan Hughes besticht durch sein sonores Timbre, und Tuva Semmingsen verkörpert den Juden Daniel zwar einnehmend, aber mit zu wenig Profil, sodass man sich in dieser Rolle auch einen Counter gewünscht hätte. Händel-Liebhaber kommen aber musikalisch so oder so auf ihre Rechnung.