Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (10.12.2019)
Für die Neuproduktion von Donizettis «Don Pasquale» in Zürich findet der Regisseur Christof Loy einen heutigen Zugang jenseits aller Klischees. Die Sänger und der Dirigent Enrique Mazzola sekundieren mit Belcanto-Genuss in Vollendung.
Es darf wieder einmal gelacht werden am Opernhaus Zürich. Ist er nicht eine lächerliche Figur, dieser alternde Hagestolz und Geizkragen, der sich an eine junge, attraktive Frau heranmacht und prompt leer ausgeht? Und ist es nicht köstlich zu verfolgen, wie durch die Intrige seines Leibarztes die junge Frau am Schluss genau jenen Mann bekommt, den sie von Anfang an wollte, nämlich den Neffen des alten Aristokraten? In den meisten Inszenierungen von Gaetano Donizettis Musikkomödie «Don Pasquale» sind die Sympathien des Publikums klar verteilt.
Dies war auch bei der letzten Neuproduktion des Stücks am Opernhaus Zürich der Fall, die nun über zwanzig Jahre zurückliegt und auf DVD vorliegt. In Grischa Asagaroffs Lesart war der Don Pasquale von Ruggero Raimondi von Anfang an eine lächerliche Figur, während der Regisseur die Norina von Isabel Rey und den Ernesto von Juan Diego Flórez als Traumpaar darstellte. Die aktuelle Zürcher Neuproduktion von «Don Pasquale», deren Premiere am Sonntag über die Bühne des Opernhauses ging, bringt nun eine radikal andere Lesart.
Eine von verschiedenen Möglichkeiten
Zu verdanken ist sie dem international beachteten Regisseur Christof Loy, den man in Zürich längst nicht mehr vorstellen muss. Loy zeichnet Don Pasquale als differenzierten Charakter, dessen Probleme und Nöte durchaus ernst zu nehmen sind. Demgegenüber zeigt er Norina als Femme fatale, als eine Lulu des frühen 19. Jahrhunderts, die mit sämtlichen Männern auf der Bühne ihr Spiel treibt. Der in sie verliebte Ernesto erscheint denn auch als schüchterner Boy, der sich in dieser Welt der Intrigen nicht durchsetzen kann.
Diese eigenwillige und durchaus heutige Deutung ist untrennbar mit den Darstellern der Hauptrollen verbunden. Als Don Pasquale wollte Loy unbedingt den vielseitigen Bariton Johannes Martin Kränzle haben, obwohl Donizetti für die Titelrolle einen Bass vorschreibt. Tatsächlich bekundet Kränzle bei den tiefen Tönen etwas Mühe; sein Organ klingt halt nicht wie eine donnernde Bierbauch- oder Falstaff-Stimme. Sein helles und modulationsfähiges Timbre hilft ihm indes umso mehr, den vielschichtigen Charakter Pasquales in all seinen Schattierungen umzusetzen. Und er mimt eben gerade keine Karikatur, sondern einen –heutigen – Mann in den nicht mehr allerbesten Jahren.
Eine Bombe ist die Norina von Julie Fuchs, die in Zürich inzwischen Kultstatus geniesst. Gesegnet mit einem atemberaubenden Koloratursopran und einem sagenhaften Schauspieltalent, prägt sie den komödiantischen Charakter der Inszenierung an vorderster Front. Am dicksten trägt sie bei ihrer Auftrittsarie im ersten Akt auf. Während sie in ihrem Zimmer die rührselige Geschichte vom verliebten Ritter Riccardo liest, fertigt sie mit ihren Ver- und Entkleidungskünsten und ihrem verführerischen Spiel der Reihe nach einen Lover nach dem andern ab. Zu ihnen zählen nicht nur der echt verliebte Ernesto, sondern auch der intrigante Leibarzt Malatesta sowie dessen Gehilfe, der falsche Notar Carlotto.
Der Ernesto von Mingjie Lei, der den aus der Produktion ausgestiegenen Edgardo Rocha ersetzt, hat, ungeachtet seines ansprechenden Tenors, nicht die Statur eines Strahlemannes. Doch wiederum passt dies genau ins Konzept der Regie, denn Ernesto ist für Norina eben nicht das erstrebte «objet du désir», sondern nur eine von verschiedenen Möglichkeiten. Eine stimmliche Entdeckung ist der neu im Ensemble des Opernhauses mitwirkende Bariton Konstantin Shushakov als Doktor Malatesta. Als Drahtzieher der Intrige mit seiner angeblichen Schwester Sofronia (alias Norina), die Don Pasquale als Braut bestellt werden soll, dürfte Malatesta aber noch schmieriger auftreten.
Transparent und hochvirtuos
Eine schlüssige Sicht des Geschehens zeigt die Bühne von Johannes Leiacker. Im Vordergrund, der Welt von Don Pasquale, ist ein schmuckloser, durch senkrecht gestreifte kahle Wände begrenzter Innenraum zu sehen, der den Charme einer Anstalt ausstrahlt. Durch grosse Fenster blicken wir in das dahinter befindliche Schlafzimmer Norinas, das mit einer Tapete aus Rosenmustern ausgekleidet ist. Die beiden Welten berühren sich bereits während der Ouvertüre, wenn Don Pasquale als Voyeur am Fenster steht und Norina ihn anmacht, indem sie sich lasziv auf dem Bett räkelt. Die Handlung, die eigentlich im Rom des 18. Jahrhunderts spielt, wird auch durch die Kostüme von Barbara Drosihn ins Heute transformiert.
In Hochform zeigt sich die Philharmonia Zürich, die von Enrique Mazzola geleitet wird. Erneut erweist sich der Dirigent, der in Zürich während der letzten Saison, unter anderen zusammen mit Julie Fuchs, in Rossinis «Il turco in Italia» Aufsehen erregt hat, als intimer Kenner des italienischen Belcanto-Repertoires. Anders als Nello Santi, der 1997 die vorangegangene «Don Pasquale»-Produktion dirigiert hatte und der sich gerne auf die Tradition der grossen Dirigenten berief, ist Mazzola ein Philologe, der sogar Donizettis Partiturautograf zu Rate zieht, um Nuancen der Gestaltung zu klären.
Dennoch wirkt sein philologischer Ansatz – «Nicht interpretieren, sondern einfach das machen, was in der Partitur steht» – alles andere als akademisch. Unter seiner Hand klingt das Orchester sehr farbig, transparent und hochvirtuos. Des Dirigenten Begeisterung steckt alle an: Beim halsbrecherischen Duett von Don Pasquale und Malatesta im dritten Akt, in dem die Entlarvung von Sofronia/Norina geplant wird, steigert Mazzola das Tempo kontinuierlich, und wenn Sänger und Instrumentalisten fast nicht mehr nachkommen, grinst er verschmitzt in die Runde.
Dissonanz zum Schluss
Für Überraschung sorgt der Schluss: Nachdem die Intrige aufgeklärt worden ist und Norina ihre Moral («Ganz schön dumm ist, wer sich im hohen Alter noch vermählt») verkündet hat, verziehen sich die Protagonisten und die Dienerschar unter grossem musikalischem Brimborium ins Off. Im Proszenium, getrennt von ihnen durch die kahle Wand und die zugeschlagene Türe, bleibt Don Pasquale allein zurück. Er kommt einem da vor wie ein Alter Ego Donizettis, der zwei Jahre nach der Pariser Uraufführung von 1843 gegen seinen Willen in die Irrenanstalt Ivry-sur-Seine eingeliefert wurde – möglicherweise wegen Syphilis. Zu lachen gibt es da nichts mehr.