Beschnittene Kraft

Tobias Gerosa, Der Bund (27.09.2005)

Ledi Macbet Mzenskowo ujesda, 25.09.2005, Zürich

Verharmlosend auf der ganzen Linie: Dmitri Schostakowitschs «Katerina Ismailowa» am Opernhaus Zürich.

Das Opernhaus spielt die überarbeitete «Katerina Ismailowa» von 1963 und nicht die Originalfassung «Lady Macbeth von Mzenzk» von 1934. Ein Fehler wie auch der Ansatz des Regisseurs Klaus-Michael Grüber, der Schostakowitsch mit Tschechow verwechselt.

Die letzte Szene liefert den Schlüssel. Vor grau gemalten Wolken spannen sich Telegrafendrähte durchs leere Sibirien (Bühne Francis Biras). So kann man Tschechow inszenieren, doch bei Schostakowitschs zweiter und letzter Oper läuft der naturalistische, auf Stimmung setzende Ansatz zwangsweise ins Leere.

Das Werk basiert auf einer realistischen Erzählung Nikolai Leskows aus dem Jahre 1865: Die Titelheldin verstrickt sich wie Shakespeares Lady Macbeth immer tiefer in Schuld. Drei Morde sind die Folge ihres Kampfes gegen die unterdrückende Männerherrschaft. Eigentlich versteht man sie dabei immer besser. Doch Klaus-Michael Grüber und seine Ko-Regisseurin Ellen Hammer schaffen es (gegen die Musik), dass diese so kraftvolle Geschichte über die Bühne zieht, ohne zu berühren oder aufzuwühlen. Was will diese Inszenierung eigentlich erzählen?

Verlorene Figuren

Viktor Lutsiuk als Sergej und Solveig Kringelborn als Katerina können einem Leid tun, wie sie ihre Figuren ohne Regie-Leitplanke entwickeln müssen. Dabei findet gerade Kringelborn bis ins Hochdramatische und trotz grotesk überdrehter Stummfilmparodie im Showdown berührende und überlegte Zwischentöne für die zerrissene Persönlichkeit der Katerina. Doch in einem Umfeld, in dem zentrale Rollen wie Boris (Alfred Muff) oder das schäbige Bäuerlein (Martin Zysset) szenisches wie musikalisches Profil vermissen lassen oder die kompakt und kraftvoll singenden Choristen mit angeklebten Zottelbärten herumstehen, wirken die Hauptfiguren verloren.

Zusammen mit Kostümen Eva Desseckers, die aussehen, als müssten sie bis auf die andere Seeseite erkennbar sein, laviert die Inszenierung zwischen vorgeblichem Realismus und einer überhöhten satirischen Darstellung, die allerdings unausgeführt bleibt, bis sie in den Pope- und Polizisten-Szenen nicht mehr umgangen werden kann und dann auch entsprechend daherkommt.

Geglättete Version

Dirigent Vladimir Fedoseyev entschied sich wie schon bei Modest Mussorgskijs «Chowanschtschina» auch jetzt gegen die Härten und Schärfen der ersten Fassung und für die geglättete, lange auch geglättet sanft interpretierte Überarbeitung voller instrumentaler Schönheiten, aber bis auf den Schluss viel zu wenig Kraft und Spannung. Statt aufzuschrecken, kann man sich lange geniessend zurücklehnen.

Unabhängig davon, wie entscheidend Stalins vernichtendes Urteil 1936 für die spätere Überarbeitung war, erweist sie sich auch als klar schwächer. Massgeblichen Anteil an diesem Urteil haben nicht nur die Eliminierung der drastischsten Szenen, sondern auch die fünf eingefügten Zwischenspiele. Obwohl Fedoseyev hier mächtig aufdreht, überführen sie die vorher hart geschnittene Handlung in eine opernhafte Bildabfolge, betont noch durch die Zwischenvorhänge. Wo blieb da die Opernhaus-Dramaturgieabteilung, die sich dieser Kulinarisierung in den Weg gestellt hätte?