Welch reizendes Albtraumpaar!

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (10.12.2019)

Don Pasquale, 08.12.2019, Zürich

Donizettis «Don Pasquale» ist im Zürcher Opernhaus mehr als ein Schwank: Dank superben Darstellern und einem Regisseur, der alles aus ihnen herausholt.

Die Braut ist gefunden! Schön wie ein Engel ist sie, und unschuldig, und sanft, und erst noch die Schwester des Doktors, der sich so freundlich um die Vermittlung bemüht hat.

Kein Wunder, schmilzt der alte Don Pasquale bei dieser Ankündigung weg vor Wonne, man sieht es ihm an: Wie er ans Herz greift, um dessen Galopp zu bremsen, wie er strahlt, bis es ihn schmerzt in den Mundwinkeln. Dann hilft nur noch der Griff nach dem Taschenkamm. Wenn er schon seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle hat, dann doch wenigstens die paar Haare um die Glatze, die ihm die Kostümbildnerin Barbara Drosihn verpasst hat.

Spätestens in diesem Moment weiss man, dass Gaetano Donizettis «Don Pasquale» an diesem Abend mehr sein wird als der übliche Schwank. Ein Theaterfest nämlich, eine feinsinnige, zutiefst menschliche und dennoch sehr lustige Komödie.

Dieser Don Pasquale begnügt sich nicht damit, den Trottel zu geben.

Zeremonienmeister ist Christof Loy, also einer jener Regisseure, die aus ihren Darstellern alles herauszuholen verstehen, was drinsteckt. Und in Johannes Martin Kränzle, der hier erstmals den Don Pasquale gibt, steckt viel: Er ist ein grossartiger Sänger, ein ebensolcher Schauspieler – und eine erfreulich untypische Besetzung für diese Rolle. Denn er ist nicht Bass, sondern Bariton. Nicht dick, sondern schlank. Und vor allem begnügt er sich nicht damit, den Trottel zu geben.

Das tut er zwar auch, mit Hingabe. Don Pasquales Geiz, sein Kontrollwahn, seine Wutanfälle: alles da, exakt nach Libretto. Und wenn Kränzle hämisch fistelt oder selbstverliebte Kantilenen schnulzt, wenn seine Stimme bebt vor lauter Schlaumeierei oder sich fast überschlägt im Schnellsprechfuror, dann ist das so lustig, wie es nur sein kann. Aber man sieht auch die Einsamkeit dieses Mannes, der da so allein in seinem grauen Salon sitzt, den Johannes Leiacker für ihn gebaut hat. Und man spürt seine Hoffnung, dass er mit dieser Braut nicht nur dem Neffen eins auswischen kann, sondern tatsächlich sein Glück findet. Man würde es ihm gönnen, wirklich.

Zumindest aus Zuschauerinnensicht klappt es dann auch tatsächlich mit dem Glück. Denn Julie Fuchs gibt die Norina, die dem Alten als züchtige Braut vorgestellt wird, in Wirklichkeit aber die Geliebte des Neffen ist (und in dieser Inszenierung auch noch die Geliebte des Doktors und einer ganzen Reihe von Statisten). Und fürwahr, sie ist die ideale Kandidatin für diesen Don Pasquale: Ein reizenderes Albtraumpaar als diese beiden kann man sich kaum vorstellen.

Norinas Spitzentöne sitzen genau so präzis wie ihr Gesichtsausdruck und die Ohrfeige, die sie Don Pasquale versetzt.

Ein musikalischeres ebenfalls nicht. Genau wie Johannes Martin Kränzle kann auch Julie Fuchs mit ihrer Stimme anstellen, was sie will; den Wechsel von verführerisch zu knallhart zu zickig zu verhuscht schafft sie in Mikrosekunden. Dabei sitzen die Spitzentöne genau so präzis wie der Gesichtsausdruck und die Ohrfeige, die sie Don Pasquale versetzt. Selbst eine gewisse Sympathie für ihr Opfer kann sie glaubhaft vermitteln: Das will etwas heissen.

Das übrige Personal muss neben diesen beiden notgedrungen verblassen – tut das aber auf hohem Niveau. Konstantin Shushakov bewährt sich als Doktor Malatesta mit sonorem Bariton und einer Schnellsingtechnik, dank deren er mühelos mit Kränzle mithält. Und der junge chinesische Tenor Mingjie Lei gibt als Neffe Ernesto ein umjubeltes Hausdebüt: mit einer so lyrischen, warmen, expressiven Stimme, dass man ihn gern beschützen möchte vor Norina. Und ihm gleichzeitig alles Gute wünscht für eine Sängerkarriere, die ihn zweifellos noch weit bringen wird.

Auch das Orchester bietet mehr als Klamauk

Erwähnt werden muss noch, dass dieses deutsch-französisch-russisch-chinesische Protagonistenquartett (das durch den Amerikaner Dean Murphy in der kleinen Rolle des Carlotto ergänzt wird) einwandfrei Italienisch singt. Und dass die Philharmonia Zürich unter der Leitung des Italieners Enrique Mazzola stilsicher alles tut, um die Sänger nicht nur im Klamauk und im Elend, sondern auch bei allem dazwischen zu unterstützen.

So gezielt das Orchester die Pointen schärft: Die berückenden Soli und eine höchst differenzierte Klanggestaltung sorgen dafür, dass die Komödie auch im Orchestergraben mehr ist als ein Schwank. Dass da neben den vielen vorgespielten auch ein paar echte Gefühle im Spiel sind, ist jedenfalls nicht zu überhören. So wirken hier – anders als in traditionellen Aufführungen dieses Werks – am Ende auch die Sieger in dieser Intrige ein bisschen wie Verlierer. Und wer weiss, vielleicht ist die Geschichte von Don Pasquale und Norina ja doch noch nicht ganz fertig erzählt.

Klar ist immerhin dies: Dass das Premierenpublikum seine Begeisterung über diese Aufführung aussergewöhnlich vergnügt und lautstark geäussert hat.