Anna Kardos, St. Galler Tagblatt (10.12.2019)
In Sachen MeToo schneiden Opern schlecht ab. Dass es auch anders geht, zeigt der hinreissende «Don Pasquale» am Zürcher Opernhaus.
Verliebt, verlobt, verheiratet? Mit fortschreitendem Alter kann man die ersten zwei Stationen zwecks Zeitersparnis schon mal streichen – findet zumindest Don Pasquale, ein Mann in den nicht mehr allerbesten Jahren. Schliesslich garantiert ein befreundeter Dottore (Konstantin Shushakov) die unbefleckte Provenienz der Braut: frisch aus dem Kloster und sanft wie ein Lämmchen. Willig wird sie ohnehin sein, warum also das junge Ding verwirren, indem man es vorher fragt?
So weit, so gang und gäbe in vielen Opern. Da werden junge Frauen vernascht (wie Gilda in Rigoletto), verlassen (wie Madama Butterfly), verheiratet (wie Lucia di Lammermoor) sexuell erpresst (wie Tosca) – dies ohne mit der Wimper zu zucken und serienmässig. Bitte, keine Umstände, meine Herren! Zumal auch das blonde Ding, das auf der Bühne des Opernhauses Zürich unter ihrem züchtigen Schleier zu Don Pasquale hochblinzelt (phänomenal gespielt und gesungen von Julie Fuchs), wirklich entzückend ist.
Sie hat die Hosen an und die Fäden in der Hand
Dem leicht ergrauten Bräutigam (umwerfend komisch: Johannes Martin Kränzle) schwillt vor lauter Aus-dem-Häuschen-Sein die Brust – und nicht nur diese. Doch diesmal hat er die Rechnung ohne die Braut gemacht. In null Komma nichts wird sie vom Lämmchen zum Luder. Opern sind für MeToo, was für den Hamster sein Rad: ein Tummelfeld ohne Ende.
Aber es geht auch anders. Das beweist Gaetano Donizetti (1797–1848) mit diesem Dramma buffa, in welchem die junge Witwe Norina die Hosen anhat; die Fäden in der Hand und die Klaviatur ihrer Verführungsregister stets griffbereit. Und auch einen Plan hat die junge Witwe: Mit ihrer Scheinhochzeit will sie den geizigen, aber im Grunde liebenswerten Don Pasquale dazu bewegen, seinem Neffen Ernesto die Erlaubnis zu dessen eigener Heirat zu geben. Dass die Braut in jenem Fall ebenfalls Norina ist, erfährt man als Zuschauerin schon in den ersten Takten – und kann fortan genüsslich der Schadenfreude frönen.
Nein, nett ist das alles nicht. Dafür aber umwerfend komisch. Daran trägt die Zürcher Inszenierung einen Löwenanteil, wenn Regisseur Christof Loy liebevolle Figurenzeichnung und rasantes Tempo miteinander auf die Achterbahnfahrt der Gefühle schickt. Da wird Don Pasquales magenschonendes Frühstücks-Joghurt Teil einer präzisen Figurenzeichnung und der Pflanzenspray Symbol für ganz andere Tröpfchen. Auch Neffe Ernesto (Mingjie Lei) sieht ein: Mit einem Teller Spaghetti seufzt es sich viel leichter.
Vergessen Sie Woody-Allen-Filme! Donizetti ist besser. Die Darsteller (vor allem Johannes Martin Kränzle und Julie Fuchs) zum Niederknien, die Musik köstlich (wofür Dirigent Enrique Mazzola und die Philharmonia Zürich mit viel Fingerspitzengefühl und pudrig leichten Klängen sorgen). Und was ist jetzt mit MeToo? Statt der Wut im Bauch gibt’s diesmal viel mehr wohliges Feel-Good-Movie-Kribbeln.