SDA, Blick (18.10.2019)
"Figaro hier! Figaro da!", grotesk-verschroben auf der einen, lustig-locker auf der anderen Bühne: Die Theater von Basel und Bern präsentieren Gioachino Rossinis "Il Barbiere di Siviglia" auf höchst unterschiedliche Weise.
Die eigentliche Handlung von Gioachino Rossinis Opern-Evergreen «Il Barbiere di Siviglia» ist schnell skizziert: «Ein verliebter Alter will morgen sein Mündel heiraten; ein junger Liebender mit mehr Geschick kommt ihm zuvor», fasste der französische Komödiendichter Pierre-Augustin Caron de Beaumarchaus, der mit seinem gleichnamigen Stück die Vorlage geliefert hatte, das Geschehen zusammen.
Wesentlich ist, wie das alles geschieht, wie Tausendsassa Figaro wie ein Puppenspieler die Fäden in der Hand hält und für strub-komische Intrigen und Wirrungen sorgt. Und dann natürlich die wunderbare unsterbliche Musik, die Gassenhauer an Gassenhauer reiht.
Wie setzt man die Geschichte mit den letztlich doch recht holzschnittartig gezeichneten Figuren heute um? Im Konzert Theater Bern setzt Regisseurin Cordula Dähler auf die Situationskomik, die sie mit einem spielfreudigen Ensemble zuweilen bis an die Grenze zur Posse treibt. Die Handlung, so wird als These im Programmheft vermerkt, lasse sich nicht in die Gegenwart oder irgendeine andere Zeit verlagern.
Dass dies sehr wohl möglich ist, zeigt die Aufführung am Theater Basel, die vier Tage nach Bern, am Donnerstag, Premiere hatte. Es handelt sich um eine Neueinrichtung der Inszenierung des russischen Starregisseurs Kirill Serebrennikov an der Komischen Oper Berlin.
Der gefeierte Shootingstar wird in Russland politisch verfolgt. Er stand lange Zeit mit fadenscheiniger Begründung unter Hausarrest. Weil sein Reisepass noch immer eingezogen ist, kann er das Land noch immer nicht verlassen, weshalb er den Premierenapplaus in Basel nicht entgegennehmen konnte.
Serebrennikov verlegt Rossinis Oper in die Facebook-Gegenwart. Der junge Liebhaber Graf Almaviva (Alsdair Kent) wird hier zum Youtube-Star, der sich beim berührenden Liebes-Canzone «Sei il mio nome sapor voi bramate» auch mal durch eine E-Gitarre begleiten lässt. Die verknallte Geliebte Rosina trägt ihre Gefühle über Facebook in die Welt. Und Figaro (Gurgen Baveyan) agiert überaus selbstverliebt und wendig als personifiziertes Tinder, der die Geschicke quasi mit Wischbewegungen im Griff hat.
Gegenpol ist der alte Vormund Bartolo (Andrew Murphy), der in der Social Media-Welt und auch sonst auf verlorenem Posten steht. In Serebrennikovs Inszenierung wird der Arzt, der hier gleichnishaft Antiquitätenhändler ist, zur heimlichen Hauptfigur. Typisches Komödien-Opfer, an dem sich die Heldenfiguren abarbeiten können, ist er allemal. Hier wird er nun aber zum Protagonist einer Tragödie des alten Manns.
Das zeigt sich vor allem im furiosen Finale des ersten Akts, wenn sich die Irrungen rund um den verkleideten Grafen, der die Nähe zum seiner Geliebten sucht, zum absoluten Irrsinn hinaufschrauben. Die Inszenierung fährt hier mit einer Mischung aus Klamauk und politisch unkorrekter Satire auf.
Almaviva hat die Verkleidung eins IS-Söldners gewählt, lässt sich aber von einem jüdischen Intellektuellen begleiten. Und der Männerchor der Soldaten mutiert vom Strom von Flüchtlingen zu grotesken Monstern im Alptraum von Bartolo, der die Welt nicht mehr versteht.
Das ist bitterböse und reicht an die Grenze des guten Geschmacks - allerdings ohne sie zu überschreiten. Das ist in Bern ganz anders. Auch hier geht es in dieser Schlüsselszene irr und wirr zu und her. Auf irgendwie geartete Bezüge ausserhalb des oberflächlichen Handlungsstrangs wird aber verzichtet. Die Figuren bleiben in ihren grellbunt-kontrastierenden Kostümen so holzschnittartig, wie sie geschrieben wurden.
Aber auch in Bern wird der alte Bartolo zur heimlichen Hauptfigur. Er bleibt aber der schmierige Widerling, der mitleidlos der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Rainer Zaun legt in dieser Rolle aber so viel hinreissendes komödiantisches Talent an den Tag, dass man die Figur fast schon liebgewinnt.
Die höchst unterschiedlichen Ansätze von Basel und Bern offenbaren sich am Schluss ganz deutlich. In Bern mündet alles in das grosse Happy End. Die Liebenden finden sich, und sogar Bartolo ist zufrieden. Ganz anders in Basel: Hier greift Almaviva nach der Hochzeit gleich wieder zum Smartphone, wohl um eine neue Eroberung einzuleiten.
Und Bartolo ist der am Boden zerstörte Verlierer, der mit Umdrehungen an einer verstimmten Drehorgel offenbart, dass er in dieser schönen und verlogenen neuen Facebook-Welt nichts mehr zu melden hat.
Die Premierengäste feierten beide Inszenierung. Das lag nicht zuletzt an der überzeugenden musikalischen Qualität. Sowohl das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von David Parry, als auch Berner Sinfonieorchester unter der Leitung von Mattew Toogwood haben die temporeiche Partitur vorzüglich im Griff. Und auch gesanglich setzen beide Aufführungen Glanzpunkte.