Simon Bordier, Basler Zeitung (19.10.2019)
Das Theater Basel zeigt Rossinis «Barbier von Sevilla» als Komödie in Zeiten von Facebook, Instagram, Youtube und Co. In dem Social-Media-Trubel ragen zwei hauseigene Sänger heraus.
Jeder kennt den Barbier von Sevilla. Er ist nicht nur der mit Abstand beste, beliebteste, versierteste Haareschneider der Stadt und des Erdkreises, sondern ein Social-Media-Star dazu. Lass dir von ihm deinen Hipsterbart stutzen, und er geht viral. Hol dir bei ihm deine Haarextensions, und die Männer (Wahlweise: Frauen) liegen dir zu Füssen. Kombiniere Bart und Haar, und du gewinnst den Eurovision Song Contest. Seville, Spain, Twelve Points: Wie geil ist das denn? Bravo Figaro!
Tatsächlich bleibt uns der Barbier in der Inszenierung des Rossini-Opernklassikers, die am Donnerstag am Theater Basel Premiere feierte, nichts schuldig. Der junge armenische Bariton Gurgen Baveyan – ein Neumitglied des Basler Ensembles – läuft in der Figarorolle zur Hochform auf.
Als eine Art Houdini im Gothic-Look schreitet er die Publikumsreihen ab, lässt sich von drei Assistenten ins rechte Licht rücken oder mit Theaternebel einräuchern. Denn jede Begegnung, jeder Schritt will inszeniert, abgelichtet und auf Facebook geteilt werden. Vor allem aber fesselt Baveyans Stimme. Rasierklingenscharf ist sie, wenn es sein muss, durchdringend, feurig, und sie beschert uns im «Largo al factotum» ein umwerfendes Staccato-Feuerwerk.
Unterhaltsam und originell
Mit der berühmten Auftrittsarie ist denn auch einer von wenigen emotionalen Höhepunkten des Abends erreicht. Nicht, dass die Inszenierung des russischen Kultregisseurs Kirill Serebrennikow, die 2016 bereits an der Komischen Oper Berlin zu sehen war und nun in Basel eine Wiedergeburt erfährt, langweilig wäre. Ganz und gar nicht: Die Verlegung von Rossinis Opera buffa in die Welt der Social Media ist unterhaltsam und zum Teil sehr originell.
Aber es ist eben ein Spiel mit Formen, bei dem die Pointe oft mehr zählt als der emotionale Kern. Je grösser die Gefühle, desto stärker die Ironie. Dies gilt besonders für den Grafen Almaviva, gespielt vom australischen Tenorsänger Alasdair Kent. Er nähert sich seiner angebeteten Rosina unter wechselnden Namen beziehungsweise Facebook-Profilen. Ziemlich amüsant ist sein Seitensprung in eine fremde Belcanto-Arie, bevor er endlich die richtige Cavatine findet und sehr lyrisch, ja geradezu mit Gigoloschmelz Wolke sieben ansteuert.
Furie und Miezekatze
Seine Rosina ist eine richtig grosse Nummer: Die russische Mezzosopranistin Wassilissa Berschanskaja, die zuletzt in Basel als Angelina in «La Cenerentola» aufgefallen ist, beherrscht das Ausdrucksspektrum vom braven Miezekätzchen bis zur Furie perfekt und platziert wie nebenbei lupenreine Spitzennoten.
Die Musik wirkt umso präsenter, als die Bühne knapp bis zur ersten Zuschauerreihe reicht und das Orchester in der Bühnenmitte integriert ist.
Spürbar ist der Erfahrungsschatz von Gastdirigent David Parry: Das Sinfonieorchester Basel bringt unter seiner Leitung den Rossini-Motor mit viel Wumms und geschmeidigen Holzbläserläufen zum Laufen. Musikalisch lässt der Abend kaum Wünsche offen; einzig die Tuttiszenen von Solisten und Theaterchor lassen eine gewisse Rasanz vermissen.
Doch was ist mit dem Bühnenbild? Dass die Sänger nicht mit dem neuen iPhone 11 hantieren, mag für manche Techniknerds schmerzhaft sein, kann man aber noch knapp durchgehen lassen. Aber dass die von Ilja Schagalow kreierten Hintergrundvideos nicht aktualisiert wurden, sondern noch News aus der Zeit der Berliner Premiere zeigen (Flüchtlingskrise), gibt bei einer Social-Media-Oper doch zu denken. Auch die deutschen Polizeiuniformen der Wachgarden erwecken den Eindruck, als sei die Berliner Bühne (ein Werk von Serebrennikow und Alexei Tregubow) copy-paste nach Basel transferiert worden. Darüber vermögen auch nicht die paar Brocken Schweizerdeutsch, welche die Sänger von sich geben, hinwegtäuschen.
Zumindest die Besetzung ist neu, und die Personenführung von Julia Huebner (szenische Neueinstudierung), Johanna Wall und Natalie Widmer (Dramaturgie) überzeugt nicht nur, sondern fördert neben Figaro eine weitere faszinierende Figur zutage: Doktor Bartolo, oft als geldgieriger alter Sack dargestellt, der sein Mündel Rosina gefangen hält, erhält in Basel viele Schattierungen.
Die dicke Berta
Der Alte meint es nämlich gar nicht böse, sondern ist von der schönen neuen Bilderwelt überfordert. Und er muss zusehen, wie sich sein trautes Heim, das sich wie ein Brockenhaus ausnimmt, buchstäblich in Luft auflöst. Der Bassbariton Andrew Murphy, langjähriges Ensemblemitglied, gibt diesen sturen Bartolo so überzeugend, mit einem solchen Ernst, dass man in all dem Social-Media-Trubel mit ihm zu sympathisieren beginnt. Sogar seine Haushälterin, die dicke Berta (herrlich senil: Kali Hardwick), lässt ihn im Stich.
Am Schluss, wenn Graf Almaviva und seine Rosina zueinander finden und im Gucci-Glamour Hochzeit feiern, mag man sich gar nicht recht freuen. Denn man hört im Hintergrund eine Drehorgel scheppern und weiss: Das ist nicht nur ein Überbleibsel aus der alten Welt, sondern eine Mahnung an uns Heutige. Treibt es nicht zu weit. Andrew Murphy: Twelve Points.