Christian Berzins, NZZ am Sonntag (27.10.2019)
Die Waldorfschule hat der junge Adlige besucht, zum Popmusiker hat er es gebracht. Und dieser Graf Almaviva hat unter dem Facebook-Account «Lindoro» die junge Rosina angebaggert. Figaro braucht es in diesem virtuellen Spiel zum Glück doch noch, denn ganz so einfach lässt sich Rossinis «Il barbiere di Siviglia» nicht gegen den Strich bürsten beziehungsweise erzählen. Irgendwie muss diese Rosina ja aus dem Haus von Bartolo, der sie gefangen hält und heiraten will, befreit werden. Figaros Trick, Lindoro als Soldat verkleidet in Bartolos Reich zu bringen, kann der Regisseur noch elegant übergehen und lässt Jihadisten aufmarschieren. Die Pointe, dass im Original alsbald echte Soldaten in den Räumen stehen, geht damit aber verloren.
Doch wer schaut denn auf zwei, drei Details, wenn 100 andere Kleinigkeiten überraschen! Statt Logik will Regisseur Kirill Serebrennikow Action und Social-Media-süchtige Menschen von heute auf der Bühne zeigen. Seine Inszenierung wurde 2016 in Berlin bejubelt und gefällt nun auch dem Basler Publikum.
David Parry dirigiert das Basler Sinfonieorchester so fordernd wie leichtfüssig, und die jungen Sänger sind grossartig: Vasilisa Berzhanskaya glänzt mit prächtigen Höhen, einem vollen Fundament und tollen Koloraturen. Alasdair Kent (Almaviva) steht ihr wenig nach – und Gurgen Baveyan (Figaro) macht durch sein quicklebendiges Spiel vieles wett. Zum Schluss entreisst der Barbier den beiden Turteltauben die Handys, sagt: «Redet miteinander!» Doch vor dem Reden wollen sie am liebsten gleich übereinander herfallen. Und bald gibt es Geschenke für die Braut: Ob der Gucci-Tasche juchzt sie vor Freude. Wie lange? Kaum ist die Hochzeit vollzogen, beginnt der Graf mit einer Unbekannten aus dem Zuschauersaal zu flirten.