Da wird Herodes schwach

Simon Bordier, Basler Zeitung (16.12.2019)

Salome, 15.12.2019, Luzern

Regisseur Herbert Fritsch inszeniert in Luzern «Salome» von Richard Strauss – eine Glanzleistung.

Der deutsche Kultregisseur Herbert Fritsch hat Luzern zuletzt mit György Ligetis «Le Grand Macabre» zum Lachen gebracht, Zürich mit der Krimi-Persiflage «Totart. Tatort». Nun aber hat er sich im Auftrag des Luzerner Theaters einen düsteren Stoff vorgenommen: Die Oper «Salome» von Richard Strauss nach dem gleichnamigen Drama von Oscar Wilde.

In dem Einakter geht es um die Herrschertochter Salome, die von ihrer Mutter Herodias vernachlässigt und von ihrem Stiefvater Herodes heiss begehrt wird. Herodes möchte, dass die junge Frau – sie ist fast noch ein Kind – für ihn tanzt. Im Gegenzug will er ihr jeden Wunsch erfüllen.

Salome lässt sich auf den Deal ein, denn so hofft sie sich am Propheten Jochanaan rächen zu können, der ihr einen Kuss verweigert hat; Salome fordert nach vollbrachtem Tanz den Kopf des Propheten. Das Stück endet in einem Blutbad mit mehreren Toten, darunter Jochanaan und Salome.

1,52-Meter-Sopranistin

So schwer der Stoff wirken mag: Die Inszenierung von Herbert Fritsch, die am Sonntag in Luzern Premiere feierte, verlässt man geradezu beglückt. Der Regisseur und Medienkünstler hat sich für ein minimalistisches Bühnensetting entschieden und setzt auf eine starke Figurenzeichnung und auf die Musik.

So erlebt man nicht einfach Sänger auf der Bühne, sondern musikalisch, schauspielerisch und tänzerisch ausgeformte Charaktere. Allen voran die 1,52 Meter grosse amerikanische Sopranistin Heather Engebretson in der Rolle der Salome. Federleicht, feenhaft schwirrt sie über die Bühne, was jedoch nicht mit kindlicher Unbeschwertheit zu verwechseln ist. Sie legt nämlich einen kindlichen Eifer an den Tag, der bald manische Züge annimmt.

Damit mag sie sogar dem fanatischen Propheten Jochanaan, dem der Tenor Jason Cox seine stählerne Stimme leiht, die Stirn zu bieten. Mehr noch: Das Feuer des religiösen Führers scheint die junge Frau in ihrem Trotz zu bestärken – bis hin zum finalen Kopfabschlag.

Doppelte Salome

Bei der Premiere war die Sopranist Engebretson zwar auf der Bühne zu sehen, aus gesundheitlichen Gründen konnte sie aber nicht singen. Ihren Gesangspart übernahm die seitlich der Bühne aufgestellte Sera Gösch. Und die Einspringerin blieb mit ihrem wendigen, in der Höhe glühend-feurigen Sopran nichts schuldig. Die Aufteilung Salomes in einen Gesangs- und einen stummen Bühnenpart hat sogar einen positiven Nebeneffekt: Sie verstärkt den Eindruck des Feenhaften.

Leicht und sinnlich, ohne ins Seichte abzurutschen, fällt in Luzern auch Salomes «Tanz der sieben Schleier» aus. Grossen Anteil an der verspielten Szene hat der Tenor Hubert Wild, der Herodes als etwas irren, hilflos wirkenden Erotomanen spielt. Dass dieser Herrscher seine Stieftochter begehrt und tanzen lässt, bleibt zwar problematisch. Klar ist aber auch, dass Salome in einer Position der Stärke ist – und ihm auch mal zwischen die Beine tritt.

Die Komik wird von der Regie nicht forciert. Sie ergibt sich wie von selbst aus dem Libretto sowie in der Gegenüberstellung der so unterschiedlichen Charaktere. Dazu zählen auch die von Solenn’ Lavanant-Linke interpretierte Herrschermutter Herodias, die sich mit umwerfend dramatischer Stimme aufschwingt, sowie der junge Hauptmann Narrabath (Robert Maszl) mit seinen herrlich schwülstigen Salome-Schwärmereien.

Elektrisierende Atmosphäre

Der verrückte Herodes glaubt zudem ständig einen «Wind» zu verspüren, mal kalt, mal heiss. Und völlig falsch liegt er ja nicht: Die Bühne ist fast komplett leer, doch die ständige Präsenz von Jochanaans Prophetenkopf, seine nicht nachlassenden geisselnden Worte sowie die zwei goldenen Herrscherthrone im Hintergrund führen zu einer elektrisierenden Atmosphäre.

Diese entlädt sich nicht zuletzt in den Klängen des Luzerner Sinfonieorchesters unter der Leitung von Clemens Heil: mal in einem sinnlichen Klarinettenlauf, mal in einem Fagottbrummen oder einem Gongschlag. Die Extreme der Strauss’schen Partitur werden ausgereizt, doch das Orchester findet auch immer wieder zu erhaben-feierlichen Tönen zurück. Den Tanz Salomes kann man dabei ohne Weiteres als Körper gewordene Musik verfolgen. Luzern bietet wieder mal ganz grosses Musiktheater. Intendant Benedikt von Peter, der nächsten Sommer ans Theater Basel wechselt, wird Herbert Fritsch hoffentlich auch in Zukunft verpflichten können.