Urs Mattenberger, Luzerner Zeitung (17.12.2019)
Komik ohne Klamauk: Inszenierung, Sänger und das Orchester machen Richard Strauss’«Salome» am Luzerner Theater zum Ereignis.
Es könnte ein Kuscheltier sein, das dieses Mädchen, auf der Bühne friedlich hingestreckt, in ihre Arme schliesst und durchknuddelt. Aber der pinkfarbene Rock ist wie ein aufgewühltes Laken hochgerutscht und gibt freizügig ein Bein frei. Und sowieso: Das haarige Kuscheltier auf dieser Mädchenbrust ist ein Männerkopf. Wenn man sich den abgetrennten Körper hinzudenkt, ruht er sich da aus wie nach einem Liebesakt.
Es war am Sonntag in der Premiere von Richard Strauss’ Oper «Salome» im Luzerner Theater nur ein kurzer Moment, in dem man den Atem anhalten konnte. Denn darum herum reizt Regisseur Herbert Fritsch mit seiner Hauptdarstellerin Heather Engebretson dieses mit Gewalt aufgeladene Liebesspiel zwischen Salome und dem Kopf des Jochanaan nach allen Seiten aus. Hass und Rache gehen schleichend und schlagartig über in Liebeswahnsinn, Verzweiflung und Trauer. Trauer darum, dass sie zwar mit ihrem Tanz vor Herodes den Kopf des Jochanaan gewonnen, aber auch dessen Liebe verspielt hat.
Kindliche Unschuld mit den Reizen einer Frau
In diesem vom Luzerner Sinfonieorchester grandios überhöhten Moment schimmert Heather Engebretsons Gesicht wie aufgelöst in Tränen. Und wieder wird klar, wieso Regisseur wie Intendant von dieser «Kindfrau» schwärmten. Weil sich auch hier der verletzte Stolz der Frau mit der Verletzlichkeit eines um jede Liebe betrogenen Kindes mischt. Engebretson spielte das an der Premiere mit der Unschuld eines Kindes und den angedeuteten Reizen einer Frau derart intensiv mit Haut und Haar, das man hätte glauben können, sie würde auch singen.
Dass sie es wegen einer viralen Infektion nicht konnte, war zwar bei der Ankündigung durch Intendant Benedikt von Peter eine Enttäuschung. Aber dass die Salome auf der Bühne von Engebretson gespielt und von der Seite aus von Einspringerin Sara Bösch expressiv-erregt gesungen wurde, tat der Premiere wenig Abbruch.
Das liegt auch daran, dass hier Engebretson zwar die ganze Produktion prägt, diese aber in jeder Hinsicht der grosse Wurf ist, den man von der ersten Aufführung dieser Oper in Luzern erhoffte. Das beginnt schon bei der von Fritsch magisch eingerichteten, fast leeren Bühne. Der wie mit Wasser ausgegossene, glänzende Boden macht mit vielfältigen Spiegelungen in die Tiefe das ganze Spiel zu einem Tanz über bodenlosem Abgrund, auf dem alle Figuren im Dunkeln tappen (Interview in der Ausgabe vom Freitag). Mit den feminin gerundeten phallischen Thronen als einzigen Requisiten ermöglicht das zudem orientalisch verrätselte Farbenspiele.
Orchesterrausch im Luzerner Theater
Dass in den spiegelglatten Boden der Kopf des Propheten Jochanaan eingepflanzt ist, gibt dieser Stimme aus dem Untergrund eine ebenso störende wie verletzliche Dauerpräsenz. Es brodelt auch mal bedrohlich auf der Bühne, wenn sich die keifende Meute der jüdischen Gelehrten um ihn zusammenrottet und aus seinem Verlies hervorholt. Gegen diesen Jochanaan und seine Donnerstimme (Jason Cox) sind ausser Salome alle machtlos. Vergeblich verströmt Robert Maszl als Narraboth betörenden Belcanto-Schmelz, um Salome von der Faszination für das ganz Andere abzubringen, das Jochanaan gegenüber dem Lotter- und Luxusleben am Hof verkörpert.
Die Herodias von Solenn? Lavanant-Linke kaschiert ihre Angst mit gestelzten Stimmsalven, bis in die Fingerspitzen verunsichert ist die Nero-Karikatur von Hubert Wilds Herodes. Der Fritsch-erprobte Gast verkörpert mit seinem hysterisch flackernden Tenor das Ideal eines Darstellers jenseits aller Sparten. Dass er den opportunistischen Lüstling mit einer Komik ohne Klamauk gibt, ist exemplarisch für eine Inszenierung, die den Spassmacher Fritsch von einer ernsten Seite zeigt. Dass das böse Komik nicht ausschliesst, zeigt der Tanz Salomes, in dem sie sich hier angewidert von ihren Eltern befreit und der zum Vorspiel der Schlussszene mit dem Kopf Jochanaans wird.
Eine grosse Überraschung war, wie gut das Werk in dieser Fassung mit reduzierten Streichern ins Luzerner Theater hineinpasste. Das Luzerner Sinfonieorchester unter Leitung von Clemens Heil gestaltete die atmosphärischen Stimmungen, das glitzernde Kolorit und den mächtigen Rausch der Partitur mit einer Intensität und fieberhaften Beweglichkeit, die die trockene Akustik vergessen liessen: Auch das gehört zum grossen, vom Premierenpublikum lang gefeierten Wurf.