Und dann tanzen sie den Hitlergruss

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (03.03.2020)

Arabella, 01.03.2020, Zürich

Der kanadische Starregisseur Robert Carsen hat Richard Strauss’ «Arabella» im Zürcher Opernhaus inszeniert. Sehr gediegen. Zu gediegen.

Auch das Grauen hat ästhetische Ansprüche, so viel ist in der neuen Zürcher «Arabella» rasch klar. Fesch sieht der Graf Elemer aus in seiner SS-Uniform, die Hakenkreuzflagge passt farblich perfekt zu den roten Wänden des Hotels, das Gideon Davey auf die Bühne gestellt hat. Und in vollendeter Virtuosität schliessen die Tänzer während des Vorspiels zum dritten Akt jedes Solo mit dem Hitlergruss ab. Wer es nur halbherzig tut, erhält sauber choreografierte Prügel.

Man sieht es fasziniert und irritiert zugleich. Fasziniert, weil der Regisseur Robert Carsen die operettenhafte Anlage des Stücks damit gleichzeitig bedient und kippen lässt, weil der Tanz um die schöne Arabella noch näher am Abgrund stattfindet als üblich. Irritiert dagegen, weil das Nazi-Dekor hier eben doch nicht mehr ist als Dekor. Weil schon viel zu viele Opern-Unsympathen Hakenkreuzbinden trugen.

Und weil es letztlich nur ein ziemlich plumper Trick ist, um das unsägliche Frauenbild in diesem Stück nicht weiter hinterfragen zu müssen. In einer faschistischen Welt lernt eine Arabella nun mal rasch, was sie ihrem Zukünftigen zu sagen hat: «Und du wirst mein Gebieter sein, und ich dir untertan.»

Der Gebieter: Das ist Mandryka, der aus dem wilden Slawonien nach Wien gereist ist, weil er sich in Arabellas Bild verliebt hat. Ihr Vater hatte es verschickt, in der Hoffnung, einen reichen Bräutigam zu finden für die Tochter. Deren Schwester, die Zdenka, hat man derweil als Buben verkleidet, weil man sich das standesgemässe Aufziehen zweier Töchter nicht mehr leisten kann. Die Verwechslungen und Missverständnisse sind da programmiert, und ihre Auflösung hat durchaus ihren Reiz: Hugo von Hofmannsthal hatte nun mal ein besonderes Talent für bittersüsse Wendungen und Formulierungen.

Nicht nur die Walzer sind überdreht

«Arabella» war sein letztes Libretto für Richard Strauss, die Uraufführung der Oper hat er nicht mehr erlebt. In Dresden fand sie statt, 1933: Damit hat Robert Carsen immerhin eine Begründung für die Verlegung des Geschehens von den originalen 1860er-Jahren in die Nazizeit. Hitler war seit einem halben Jahr Reichskanzler, als das Werk auf die Bühne kam; der Dresdner Generalmusikdirektor Fritz Busch und der Intendant Alfred Reucker, denen es ursprünglich gewidmet war, hatten ihre Posten bereits verlassen müssen. Strauss hatte sich dann rasch einverstanden erklärt damit, dass Clemens Krauss an Buschs Stelle die Premiere dirigierte. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis er zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt wurde.

Und natürlich lässt sich in diesem Stück etwas von diesem Zeitgeist finden. Im Orchestergraben vor allem, wo Generalmusikdirektor Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich die Klänge schärfen, bis sie wehtun. Nicht nur die Walzer sind überdreht; das ganze Klangbild ist erhitzt, das Parlando hysterisch, Entspannung gibt es keine. Dass das Orchester über weite Strecken zu laut spielt, wirkt allerdings verdächtig: Will man da fortissimo darüber hinwegtäuschen, dass die bis ins letzte Kostümdetail ausgefeilte Inszenierung trotz der Hakenkreuze vor allem gediegen ist?

Den Sängerinnen und Sängern jedenfalls hätte man eine zurückhaltendere Begleitung gegönnt. Vor allem Josef Wagner, der als Mandryka sein Zürcher Debüt gibt, muss seinen Bariton zuweilen ziemlich grob aufrüsten. Das passt natürlich zu einem, der mit einer Bärin kämpft, bevor er auf Brautwerbung geht; aber Arabellas Verliebtheit kann man dennoch nicht so richtig nachvollziehen.

Andere haben es da leichter: Valentina Farcas ist eine reizende Zdenka, ihr Matteo Daniel Behle ein Glückstreffer. Ein grandioses Paar geben auch die Eltern ab: Judith Schmid ruft überaus klangvoll die «Heil’ge Mutter Gottes» an, wenn wieder mal was schiefgeht; für Michael Hauensteins gmögig-dominanten Vater dagegen ist jedes Problem gelöst, sobald er wieder etwas Geld hat, das er verspielen kann.

Ein emanzipatorischer Akt

Und Arabella selbst? Sie musste kurzfristig ersetzt werden, Julia Kleiter hat ihr Rollendebüt krankheitshalber verpasst (was umso bedauerlicher ist, als sie in Zürich bereits als Zdenka zu hören war). Aber Astrid Kessler war eine luxuriöse Vertretung, eine Arabella, wie sie zu sein hat: kokett und kalt, oberflächlich und dennoch liebenswert, mit hellem Sopran und jener besonderen Fähigkeit, im dritten Akt plötzlich persönliche Tiefe zu zeigen.

Dass sie den Mandryka am Ende gar daran hindert, jenes symbolträchtige Glas zu zerbrechen, aus dem «keiner trinken wird nach mir», macht ihre Liebesgeschichte zwar nicht besser; aber man muss es als emanzipatorischen Akt würdigen. Und wenn Elemer und Co. als abgewiesene Verehrer nicht wie im Libretto vorgesehen einfach verschwinden, sondern mit ihren Parteikollegen anrücken: Dann wird das Dekorative plötzlich doch noch bedrohlich.

Aber zu spät. Die Aufführung war zu schön, um wahr zu sein.