Franziska Stürz, BR Klassik (26.09.2020)
Der Nürnberger Schauspiel-Chef Jan-Philipp Gloger inszenierte Emmerich Kálmáns "Csárdásfürstin" auf einer Luxusyacht in voller Fahrt. Bei der Premiere sang Annette Dasch die Titelpartie der Varietésängerin Sylva Varescu, unter musikalischer Leitung von Lorenzo Viotti an der Oper Zürich. Ein Operettenabend, der überzeugte.
"Hurra, man lebt ja nur einmal und einmal ist keinmal, und außerdem wer weiß, wie lange sich der Globus noch dreht, ob es morgen nicht schon zu spät?" Diese Zitate aus den übermütigen Tanzensembles von Emmerich Kálmáns "Csárdásfürstin" hat Regisseur Jan-Philipp Gloger zum Motto seiner ersten Operetteninszenierung erklärt. Und man lebt nicht etwa in der Entstehungszeit des Werkes 1914/15, nein, wir befinden uns im Hier und Jetzt, und die Lage ist nicht weniger perspektivlos: Klimakrise, Pandemie, Einkommens-Schere, Ausbeutung. Darum fühlen sich Edwin und seine Freunde Boni und Feri Baci auch nur noch auf hoher See wohl, wenn sie mit der Luxusyacht dem Elend der Welt davonfahren. Natürlich geht man mal an Land, um beispielsweise eine folklorekitschige Südsee-Hochzeitsfeier zu inszenieren, oder man lässt sich hübsches weibliches Frischfleisch zum Vergnügen aufs Schiff kommen – die Mädis vom Chantant. So eine ist auch Sylva: singende Animierdame und Putzfrau. Annette Dasch verleiht ihr mit sattem Sopran und derbem Temperament viel Seele und Tiefgang. Wenn der gealterte Playboy Feri Baci ihr den Tipp gibt, lieber für die Kunst zu leben, als für die Liebe blafft sie ihn an: "Was ist das denn für ein Scheiß-Text!"
Luxusyacht auf Abwegen
Diese neue Züricher Csárdásfürstin ist im Kern sehr bitter, aber sie liefert genug ausgleichende Süße, wenn beispielsweise zur Zwischenaktmusik das Ballett eine herrliche Unterwassernummer im verschmutzen Ozean vor dem Vorhang tanzt, weil der Motor der Yacht leider in die Luft geflogen ist, und die lustige Fahrt an einer Eisscholle endet. Die erzählerischen Parallelen zum Untergang der Titanic sind beabsichtigt und lassen ebenso schmunzeln, wie das putzige Arche-Noah Couplet als Einlage aus Kálmáns Faschingsfee, das Martin Zysset zur Drehorgelbegleitung herrlich trocken serviert. Niedliche, vom Aussterben bedrohte, Tierpaare dürfen am Ende zusammen mit Sylva und Edwin Walzer tanzen, bevor sie alle am Plastikmüll verrecken. Die Erde explodiert und das lustige Liebesquartett reist weiter zum Mars.
Der Funke springt über
Der bedrohliche Unterton dieser Operette kommt auch wiederholt in Lorenzo Viottis extrem gedehnten Tempi zu Beginn der sich dann rasant steigernden Tanznummern hervor. Besonders bei "Joj Mamam, Bruderherz, ich kauf mir die Welt!". Rebeca Olvera hat als Comtesse Stasi in Zürich die Rolle der neurotischen, unglücklichen Ehefrau Edwins zu spielen und darf köstlich auf Spanisch fluchen. So ein fieses Schwalbenduett über den Pragmatismus in der Ehe bekommt man nicht alle Tage serviert! Spencer Lang gibt den Grafen Boni als lustigen Hipster mit Lockenmähne, der gerne unbedarft seine Getränkedosen in die Seitengasse schmeißt. In diesen Seitengassen versickern leider auch bisweilen die herrlichen Gesangsstimmen, da das Bühnenbild von Franziska Bornkamm außer der Yacht nur leere Weite bietet. Zwar tragen alle Solisten Mikrophone, werden in den Dialogen verstärkt, aber für die optimale Balance müsste die Tontechnik auch in den Gesangsnummern noch etwas nachjustieren. Mit der enormen Dynamik von Kálmáns Musik scheinen die Lautsprecher im Opernhaus bisweilen überfordert, was wäre das für ein Feuerwerk in der Livesituation! Doch es springen dennoch genügend Funken über, der Abend trägt, hat Biss, Schmiss, Hirn und Schmalz – gut geoperettet, Zürich!