Mit der Luxusjacht zu neuen Ufern – und ins Verderben

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (28.09.2020)

Die Csárdásfürstin, 25.09.2020, Zürich

Bei der Neuproduktion von Emmerich Kálmáns Operettenhit «Die Csárdásfürstin» am Opernhaus Zürich ist fast alles anders als gewohnt.

«Als das Virus kam auf Erden, überall zu wüten, machten manche sich daran, das Schlimmste zu verhüten.» Feri, der diese Moritat zu den Begleitklängen seiner Drehorgel singt, ist ein ehemaliger Playboy, der sich längst mit der Flasche tröstet. Der Vers aus dem in die Operette hineingeschmuggelten Song «Der alte Noah» ist der einzige direkte Bezugspunkt zur gegenwärtigen Bedrohungslage. Dennoch hat das Coronavirus bei der Neuinszenierung von Emmerich Kálmáns Operette «Die Csárdásfürstin» am Opernhaus Zürich deutliche Spuren hinterlassen.

Mitte März musste die Probenarbeit von einem Tag auf den anderen abgebrochen, die Premiere vom April abgesagt werden. Nach der Wiederaufnahme der Proben im Juli wurde die Produktion einschneidend an die neuen Aufführungsbedingungen angepasst. Die Philharmonia Zürich und der Chor des Opernhauses spielen und singen nun – wie schon bei der Premiere von «Boris Godunow» vor einigen Tagen – im geräumigen Probelokal am Kreuzplatz; der Klang wird via Glasfaserkabel und Lautsprecheranlage live in den Zuschauerraum übertragen.

Unrettbar verliebt

Das Regiekonzept von Jan Philipp Gloger stand in den Grundzügen allerdings schon vor dem Shutdown fest. Die Handlung ereignet sich im Bühnenbild von Franziska Bornkamm nicht in einem Variététheater in Budapest, sondern auf einer Luxusjacht namens «Csárdásfürstin». Darauf vergnügt sich eine durchaus heutige, männliche Spass- und Wegwerfgesellschaft, nämlich der Millionärssohn Edwin und mit seinen Kumpels Boni und dem besagten Feri. Mit von der Partie sind Edwins Ehefrau Stasi (im Original seine Verlobte) und Sylva Varescu, ein Mitglied der Schiffscrew, in die sich Edwin vor den Augen seiner Gattin unrettbar verliebt.

Dass die titelgebende Sylva eigentlich eine karrierebewusste Csárdástänzerin ist, darauf verweist hier einzig ihr Auftrittslied «Heia, heia! In den Bergen ist mein Heimatland», zu dem sie in einem ungarischen Folkloregewand auftritt (Kostüme: Karin Jud). Bis zur Unkenntlichkeit zurückgestutzt hat der Regisseur denn auch die sozialkritische Ebene des Stücks: Im Original darf der Fürstensohn Edwin Sylva aus Standesgründen nicht heiraten, weil die Variétésängerin nach den damaligen Vorstellungen einer zwielichtigen Gesellschaftsschicht entstammt. Stattdessen zieht Gloger die derzeitige Umwelt- und Klimathematik heran. In ihr sieht er das Pendant zur Situation von 1915, dem Jahr der Wiener Uraufführung der «Csárdásfürstin», als der Erste Weltkrieg das Ende der Donaumonarchie besiegelte.

In einer Mischung von Realismus und Surrealismus passieren auf der Bühne die wunderlichsten Dinge: Das Meer verwandelt sich in einen unappetitlichen Abfallberg, der Horizont verdüstert sich zusehends, Möwen fallen vom Himmel. Das Schiff bleibt im Eis der Arktis stecken, wird zur Arche Noah, auf die sich Eisbären und Pinguine praktischerweise gleich paarweise retten, schliesslich zum Raumschiff, das der terrestrischen Apokalypse durch eine Fahrt zum Mars entflieht. Aus dem heiteren Stück macht der Regisseur somit eine schwer befrachtete, düstere Geschichte. In dem Bestreben zu demonstrieren, dass die Operette keine verstaubte Gattung ohne Tiefgang ist, schiesst er allerdings doch ein wenig über das Ziel hinaus.

Mit Annette Dasch ist die Titelrolle prominent und brillant besetzt. Die Sopranistin gibt die Csárdásfürstin darstellerisch und stimmlich nicht so sehr als lockeres Zigeunermädchen aus den Bergen Siebenbürgens, sondern als geerdete Frau, mehr als verlässliche Begleiterin denn als Verführerin. Pavol Breslik als Edwin ist der Good Guy mit einnehmender Tenorstimme. Dagegen verkörpert Spencer Lang den Kumpan Boni als jugendlichen Player und Lebemann. Dass er sich schliesslich in die hysterische Stasi, dargestellt von Rebeca Olvera, verliebt, kann man freilich nur schwer nachvollziehen. Eine komische Note trägt der Feri von Martin Zysset bei mit seinem herausgestellten schweizerdeutschen Akzent.