Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (27.09.2020)
Emmerich Kálmáns «Csárdásfürstin» ist in der neuen Zürcher Inszenierung noch viel aktueller, als sie vor dem Lockdown geplant gewesen wäre.
Eben noch weinte der Tenor Spencer Lang im neuen Zürcher «Boris Godunow» über das Schicksal Russlands; nun sitzt er in kurzen Hosen auf einer Jacht, besingt die «Mädis vom Chantant» und schickt dann ein paar andere Mädis von Bord, die ihren Zweck erfüllt haben. Geld bekommen sie keines, dafür ein Plüschtier, das muss reichen.
«Csárdásfürstin» heisst die Jacht, die nur fünf Tage nach dem Saisonstart zur bereits zweiten Premiere auf der Bühne des Opernhauses ausgelaufen ist. Eigentlich hätte sie schon im April startklar sein sollen; aber der Lockdown kam dazwischen, die Proben an Emmerich Kálmáns Operettenhit wurden abgebrochen, im Juni wieder aufgenommen und nun zu Ende gebracht. Anders als geplant, wie Regisseur Jan Philipp Gloger einmal seufzte: Es ist eng auf der Jacht, und nicht alles, was er sich ausgedacht hatte, ist in Zeiten des Social Distancing noch möglich.
Anderes passt dagegen erst recht. So ist im Programmheft eine Meldung aus der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» abgedruckt, die berichtet, wie reiche Amerikaner vor Corona auf ihre Jachten flüchteten: Glogers Regie-Idee wurde damit von der Realität eingeholt.
Etwas Besseres kann einer Operette nicht passieren. Denn dieses Genre lebte schon immer vom Spiel mit der Aktualität, von den spontanen Pointen, die aus einer opulenten Revue eine bissige machen. Gloger liebt dieses Spiel – das hat er schon in seinen explosiven Zürcher Inszenierungen von Vivaldis «La verità in cimento» und Rossinis «Il turco in Italia» gezeigt.
Dort hat ihm jeweils eine subtile Umdeutung des Geschehens gereicht, um die Opernfiguren in erschöpfte, liebesbedürftige oder unappetitliche Zeitgenossen zu verwandeln. Bei der «Csárdásfürstin» ging er nun mit gröberem Besteck ans Werk: Von den originalen Dialogen sind nur wenige Zeilen übrig geblieben, und auch die Handlung wurde grosszügig umgestülpt.
Alles anders und dennoch gleich
Edwin zum Beispiel, der Besitzer der Jacht, heisst hier zwar genau wie im Original Edwin Ronald Karl Maria Fürst Lippert-Weylersheim. Aber er soll mit seiner ebenso adligen Cousine Stasi nicht verlobt werden, sondern ist längst mit ihr verheiratet. Das wiederum rückt seine Liebe zur Variétésängerin Sylva Varescu in ein anderes Licht, umso mehr, als diese hier keinen Karrieresprung in den USA plant, sondern höchstens den Sprung von der Jacht.
Und so weiter: Alles ist anders, aber am Ende doch wieder irgendwie gleich, nämlich operettenhaft. Also wenig plausibel. Und in der Analyse der Figuren und ihres Gefühlshaushaltes leider auch nicht ganz so scharf wie bei Rossini oder Vivaldi.
An den Sängern liegt es nicht: Annette Dasch und Pavol Breslik geben als Sylva und Edwin alles, was sie haben, und das ist viel; in ihrem wehmütigen «Weisst du es noch» versteht man sogar, was sie aneinander finden. Was sie an der hinreissend hysterischen Stasi (Rebeca Olvera) nicht finden, versteht man ebenfalls.
Dazu bewährt sich eine neunköpfige Musicalcrew in vielen Rollen und Kostümen. Die Ausstatterinnen Franziska Bornkamm und Karin Jud hatten sichtlich Spass an ihrem Job. Die Philharmonia Zürich unter Lorenzo Viotti spielt mit Verve und Sentiment. Und die Tontechnik kommt zwar manchmal kurz ins Schlingern bei der Abstimmung zwischen unverstärktem Gesang, verstärkten Dialogen und zugespieltem Orchester. Aber insgesamt bewährt sich das System einmal mehr.
Was also ist das Problem? Vielleicht dies: dass Gloger diesmal weniger die Individuen als die Gesellschaft als solche ins Visier nimmt. Das immerhin tut er mit grandioser Radikalität: Wie sie singen auf der Jacht und gar nicht sehen, dass da Flüchtlingsboote und schmelzende Eisschollen vorbeiziehen! Wie sie tanzen, wenn die «Csárdásfürstin» untergeht, die Vögel vom Himmel fallen, die Erde explodiert! Wie sie selbst bei den Aliens noch ihren Müll einfach irgendwohin schmeissen! Und immerzu weiterträllern, weiterflirten, weiterschmollen…
Der Einzige, der mal kurz merkt, worum es geht, ist der dauerbesoffene Feri (Martin Zysset). Dann singt er das Lied vom Noah, das gar nicht aus der «Csárdásfürstin» stammt, sondern aus Kálmáns «Faschingsfee». Hier hat es eine zusätzliche Strophe bekommen: Von einem Virus erzählt sie. Und davon, dass Noah froh ist, nur Tiere auf seinem Schifflein zu haben.