Brutale Story ästhetisch inszeniert

Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (27.09.2005)

Ledi Macbet Mzenskowo ujesda, 25.09.2005, Zürich

Als Erstaufführung zur Saisoneröffnung hatte am Sonntagabend am Opernhaus Zürich Schostakowitschs «Katerina Ismailowa» Premiere. Ein eindrücklich inszeniertes Frauenschicksal.

Das Opernhaus Zürich ist schon im Vorfeld zur Premiere von Schostakowitschs Oper «Katerina Ismailowa» ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Es handelt sich bei diesem Stück nämlich um die 1963 unter politischem Druck entstandene «geschönte» und «entvulgarisierte» Fassung seiner «grotesken» Oper «Lady Macbeth von Mzensk» aus dem Jahre 1934.

Zwiespältiger Eindruck

Der russische Dirigent Vladimir Fedoseyev verteidigt die überarbeitete Version und verweist dabei vor allem auf die sehr viel interessanteren sinfonischen Zwischenspiele. Die Premiere am Sonntag bestätigte einerseits diese Einschätzung, hinterliess jedoch trotz hochkarätiger Besetzung mit Solveig Kringelborn als Katerina einen etwas zwiespältigen Eindruck.

Schostakowitsch scheidet immer wieder die Geister. Seine «Gralshüter» im Westen betonen gerne den geistigen Widerstand des Komponisten in einem diktatorischen System. Und sie sehen ebenso gerne darüber hinweg, wie problematisch seine Haltung gegenüber diesem Regime war. Schostakowitsch war bereit, sich immer wieder anzupassen und für dieses System eine «angemessene» Musik zu schreiben. So hat er zwar auch die «Ismailowa»-Oper unter Druck überarbeitet und im Ausdruck «geschönt»; er hat diese Gelegenheit aber auch dazu genutzt, ihm persönlich wichtige musikalische Eingriffe vorzunehmen. So kann man bis heute nicht mit endgültiger Sicherheit sagen, die «Ismailowa»-Oper entspreche nur bedingt seinem künstlerischen Credo.

Vladimir Fedoseyev gibt denn auch unverhohlen zu, dass er als Dirigent dies Zweitfassung der viel gröber gearbeiteten, ins Extrem vulgarisierten Urfassung vorziehe. So unerhört diese Entscheidung bei uns auch sein mag - wenn einer die «Katerina Ismailowa»-Oper im Westen zur Diskussion stellen darf, dann Vladimir Fedoseyev. Ihm gelang am Premierenabend denn auch eine musikalisch grandiose Aufführung, welcher die schön ästhetisierte Inszenierung von Klaus Michael Grüber jedoch etwas die archaische Kraft nahm.

Die Geschichte der «Lady Macbeth» und der Katerina Ismailowa ist ja denkbar brutal. Die sich in ihrer Alltagsöde zu Tode langweilende schöne Ismailowa bringt zuerst ihren sie terrorisierenden Schwiegervater und dann ihren Mann um, damit sie ihren Geliebten heiraten kann. Die Morde werden jedoch entdeckt, und die beiden Schuldigen müssen nach Sibirien ins Arbeitslager. Dort muss Katerina erkennen, dass Sergej sie mit einer anderen betrügt, und bringt deshalb die Nebenbuhlerin und sich selbst durch den Sprung in einen tiefen Waldsee um.

Letzter Biss fehlt

Die Geschichte ist wahrlich triebhaft archaisch. Man hat denn auch vor allem im ersten Teil des Abends das Gefühl, es fehle im Moment des Aufbegehrens von Katerina das Kippen ins Groteske. Die Musik ist zwar von einer direkten emotionalen Kraft, es fehlt ihr aber der letzte Biss. Dieses Zurücknehmen im Moment des heftigen Liebesaktes und des Mordes hinterlässt tatsächlich einen etwas fahlen Nachgeschmack.

Klaus Michael Grüber hat für das Bühnenbild mit Francis Biras einen Kunstmaler verpflichtet. Seine künstlerisch eigenständigen Bühnenprospekte zaubern in den schwarzen Raum treffende und doch vage Stimmungen, die mit einer subtilen Lichtregie belebt werden. In diesem auch sehr leer wirkenden Raum sind die Figuren in russisch-bäuerliche Kostüme gekleidet, mit welchen die Designerin Eva Dessecker eine realistische Note einbringt. Die Sängerinnen und Sänger können sich darin ungehemmt bewegen und musikalisch frei entfalten. Trotzdem wirkt Grübers Personenführung ausgesprochen statisch. Seine Figuren werden bei allen archaischen Gefühlsausbrüchen zu einer Art «Bild-Gestalten» eingefroren.

Diesem Regiekonzept entsprechend wirken denn auch vor allem die männlichen Protagonisten etwas zu brav. Eine Ausnahme ist da der Bass Pavel Daniluk, der im letzten Bild als «Alter Zwangsarbeiter» die russische Seele grandios zur Geltung bringt. Alfred Muff brilliert zwar stimmlich als Schwiegervater-Tyrann und macht aus seinem walzerhaften Auftritt als alter Lüstling einen Höhepunkt des Abends. Er dürfte aber durchaus etwas gröber und ungehobelter auftreten.

Auch der ungeliebte Ehemann Sinowi wird von Reinaldo Macias so weich und blass dargestellt, dass man kaum nachvollziehen kann, weshalb der umgebracht werden muss. Der stimmlich sehr heldische Tenor Viktor Lutsiuk weiss als Sergej den Machotyp glaubhaft darzustellen; er wirkt jedoch etwas eindimensional.

Betörend schöne Katerina

Dies fällt neben der vielschichtigen Darstellung von Solveig Kringelborn als Katerina natürlich besonders ins Gewicht. Unerhört, was diese Sängerin an schauspielerischen und stimmlichen Facetten anzubieten hat. Zuerst die Öde und Verlorenheit der gelangweilten Kaufmannsgattin, und dann die Steigerung in den Liebes- und Mordwahn. Sie, die fast ununterbrochen auf der Bühne steht, gestaltet bis zum Schluss mit unglaublicher Präzision und Ausdrucksnuancen alle Schichten ihrer Figur aus. Und diese Stimme: betörend schön, farbenreich und von bezwingender Grösse.

Vladimir Fedoseyev atmete trotz der sinfonischen Kraft der Musik mit den Sängern mit, genoss die tragende Rolle des die reichhaltige Partitur engagiert ausformulierenden Orchesters und sorgte für eine suggestive, dramaturgisch atemberaubende Aufführung. Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor wirkte dabei rhythmisch sattelfest und die Szenerie eindrücklich prägend.