Bieto bastelt in Basel mit Blut und Beischlaf

Georg Rudiger, Mannheimer Morgen (30.11.2006)

Don Carlos / Don Carlo, 26.11.2006, Basel

Was in Mannheim misslang, klappt jetzt in Basel, wo Calixto Bieito Giuseppe Verdis "Don Carlo" inszeniert - Mannheim verliert trotzdem nichts.

Als Dietmar Schwarz am Theater Basel vor den Vorhang tritt und dem Publikum vor der Premiere von "Don Carlos" einen "aufregenden Opernabend im besten Sinne" wünscht, muss man noch lächeln im Parkett. Schon an seiner früheren Wirkungsstätte am Nationaltheater Mannheim wollte der neue Basler Operndirektor Verdis Grand Opéra mit dem katalanischen Regisseur Calixto Bieito realisieren - die Produktion wurde aber bereits vor Probenbeginn wieder abgesetzt. Bieitos zweiter Don-Carlos-Anlauf in Basel ist auch sein Debüt an einer Schweizer Bühne. Man ist gespannt auf die radikale Bühnensprache des Regisseurs, der in seinen Inszenierungen immer wieder auf explizite Gewalt- und Sexdarstellungen baut und gerne Tabus bricht.

Und es dauert in Basel auch nicht lange, bis das erste Geschlechtsorgan zu sehen ist. Als Don Carlos im in eine Flughafenhalle verlegten Wald von Fontainebleau (Bühne: Ariane Unfried, Rifail Ajdarpasic) auf Elisabeth trifft, knüpft er ihr schnell das Brautkleid auf und labt sich an ihrer linken (Plastik-)Brust. Ihr rechter Busen ist für das königliche Baby reserviert, das sie auf dem Arm hält. Sie stillt gleichzeitig ihren Liebhaber und ihren Sohn - ein starkes Bild für Carlos' verhängnisvolle Beziehung zu seiner Stiefmutter, die ja wider Erwarten doch für seinen Vater Philipp II. vorgesehen ist. Aber natürlich belässt es Bieito nicht bei dieser geistreichen Provokation, sondern lässt Elisabeths Brust auch noch spritzen. Schritt für Schritt erhöht Bieito die Radikalitätsdosis. Anstatt eines Mönches, der Carlos an seinen Großvater Karl V. erinnern soll, kommt zu Beginn des zweiten Aktes eine Christusfigur auf die Bühne. Mit Dornenkrone, blutenden Wundmalen und Peitsche. Mit dieser quält der Gottessohn den Infanten auf einer Schulbank, um danach in einem Käfig in seinen eigenen Narben zu wühlen.

Das Lächeln im Parkett gefriert, die ersten Zwischenrufe sind zu hören und übertönen Verdis Musik. Das ist sehr schade, weil Balázs Kocsár mit dem Sinfonieorchester Basel dramatische Kraft mit lyrischem Innehalten verbindet. Und weil das exquisite Gesangsensemble zwischen Bonsai und Badewanne, Stofftiger und Stahlkäfig, Kopulationen und Exekutionen eine Differenzierung zeigt, die so gar nicht zur Basler Rollenzeichnung passt. Mardi Byers ist eine lyrische Elisabeth, in deren warmem Sopran nichts von dem Sadismus liegt, den Bieito ihr im großen Duett mit der Konkurrentin Eboli (überragend: Leandra Overmann) überstülpt. Keith Ikaia-Purdy ist, wenn er nicht gerade im Käfig sitzt, ein Don Carlos mit nie nachlassender Gestaltungskraft, Stefan Kocán ein potenter Philipp II. mit starker Bassgrundierung.

Die fortschreitende Radikalisierung zieht Bieito gnadenlos durch. Bei der Autodafé-Szene im dritten Akt kommen die Gefangenen nackt auf die Bühne, im vierten Akt werden sie vom schwarzen Racheengel (Karl-Heinz Brandt) blutig abgestochen. Der Erlöser erscheint am Ende als Drag Queen, die beiden beim Volksaufstand auf die Bühne geschobenen Autos werden abgefackelt. Basel hat nun wie versprochen seinen Aufreger - nur leider nicht im besten Sinne.