Hässlichkeitspulver für eine Schönheit

Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (31.05.2005)

Zarskaja newesta, 29.05.2005, Zürich

Opernhaus Zürich: Nikolai Rimski-Korsakows Schauerdrama «Die Zarenbraut»

Johannes Schaaf und seine Regie-Mitstreiter haben die Oper «Die Zarenbraut» ambitiös aufgezogen. Dabei droht sich Rimski-Korsakows Schauerdrama durch Konventionalität selbst zu entschärfen.

Grjasnoj sähe gerne die von ihm selbst geraubte Gespielin Lju- bascha ersetzt durch die schöne(re) Marfa. Die ist aber dem Bojaren Lykow versprochen und wird erst noch vom Zaren zur Braut erkoren. Auch hat sich Ljubascha eine tiefe Anhänglichkeit an Grjasnoj bewahrt. Die Schicksalsfäden zurren zusammen, als Grjasnoi Marfa, anstelle eines Liebespulvers, unwissentlich eine ungesunde Arznei in den Becher mischt, die Ljubascha beim Arzt um den Preis einer Liebesnacht erstanden hat und die Schönheit Zug um Zug zerstört.

«Die Zarenbraut» von Nikolai Rimski-Korsakow, während der Regierungszeit von Iwan dem Schrecklichen handelnd, operiert an einer Grenze zur unfreiwilligen Komik. Musikalisch gibt sich die 1899 uraufgeführte Oper traditionell. Die Gesangslinien können an italienischen Belcanto erinnern. Die Orchestrierung orientiert sich nicht an Wagners Mischklang, sondern am Glinka-Orchester mit gegeneinander gesetzten Instrumentengruppen. Es hat Leitmotive in der Funktion von Erinnerungsmotiven und etwas russisches Volksliedgut. Und auch wenn es Elemente des melodischen Rezitativs à la Dargomyschski gibt, so weist «Die Zarenbraut» doch einen geschlossenen Nummernbau auf. Kein richtig heisser dramatischer Atem durchweht die vier Akte; der Grundduktus der Musik ist eher lyrisch.

Spezialist am Dirigentenpult

Mit Wladmir Fedoseyew stand nun am Dirigentenpult bei der Zürcher Erstaufführung des Werkes am Opernhaus ein Mann, der massgeblich an der Rimski-Korsakow-Renaissance der vergangenen Jahre mitgewirkt hat. Mit kundiger Hand führte er durch die Partitur; liess nicht über Gebühr ausruhen auf den vom Komponisten konzertnah lange ausgebreiteten monologischen Gesangspartien, faltete aber doch die melodischen und farblichen Schönheiten auseinander. Wo geboten, liess Fedoseyew das Orchester auch schlagkräftig zulangen.

Maya Dashuk als Titelfigur sang mit einem Sopran, der sich zum Beispiel in der Wahnsinnsszene à la Lucia di Lammermoor im letzten Akt, wenn Marfa in einer ziemlich beissenden romantischen Ironie ausgerechnet Grjasnoj anhimmelt, zu sehr differenzierter Expressivität auffächerte. Einen grossen Abend hatte (auch) Liliana Nikiteanu, die in eine Tiefe hinablotete bei der Ljubascha, dass diese Rolle beinahe geadelt erschien. Die Partie des Grjasnoj profitierte von dem substanzreich-kernigen Bariton von Wladimir Stoyanow. Etwas verengt mutete momentweise der Tenor von Alexei Kosarew in der Rolle des Lykow an.

Erich Wonder hat sein bühnenbildnerisches Heil darin gesucht, eine Vielzahl von Schleiern in die Tiefe des Raumes zu staffeln. Geschickt lassen sich so mehrere Ebenen collagieren und einzelne Raumkompartimente aufblenden. Die Idee, die Bildmotive auch surrealistisch zu puzzeln, macht die Sache allerdings nicht immer schlüssig. Als ein auf Tuch gebanntes Zitat aus Sergei Eisensteins «Iwan dem Schrecklichen» grüsst finster der Zar herein. Andrea Schmidt-Futterer ist einen machbaren, aber nicht überall überzeugenden Mittelkurs gefahren zwischen historischen und symbolischen Kostümen.

Keine Russland-Folklore

Die Inszenierung von Johannes Schaaf fokussiert auf die Tragödie der Frauen. Die Brautschau des Zaren ist angeschärft zu einer veritablen Leibesvisitation. Leitmotivisch tauchen Bilder auf von Pferden, die sich im Kreis bewegen und symbolisch auf die vorenthaltene Freiheit verweisen. Statt putzige Russland-Folklore zu evozieren, hakt bei Schaaf der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor das Zarenlob ab wie eine Pflichtübung. Dass «Die Zarenbraut» kein genialer Wurf ist, vermag die Regie nicht zu widerlegen.