Liebe unter der Diktatur

Benjamin Herzog, Basler Zeitung (31.05.2005)

Zarskaja newesta, 29.05.2005, Zürich

Verständlich statt komplex - Nikolai Rimski-Korsakows Oper «Die Zarenbraut» erwies sich am Opernhaus Zürich als Glücksgriff.

Es ist schon merkwürdig, wenn auf der Opernbühne Frauen reihenweise antreten, gemustert werden, Blick in den Mund, auf die Brüste, Hüften, und dann sortiert werden. Ivan IV., «der Schreckliche», suchte sich 1571 mit einem solchen Massenverfahren seine dritte Braut aus.

In der Oper ist diese Eine nicht nur Teil der Frauenmasse, sondern die Hauptfigur. Glücklich verliebt. Allerdings nicht in den Zaren. Sie hat soeben den Verlobungstrank heruntergeschluckt zusammen mit ihrem blonden Liebling Lykow, als die Kunde ihrer verhängnisvollen Wahl kommt.

tempo. Rimski-Korsakow schrieb «Die Zarenbraut» 1898. Nur einen Datscha-Sommer hat sie ihn gekostet. Das hohe Arbeitstempo erklärt, warum der Komponist 15 Opern hinterlassen hat. So viel wie keiner seiner russischen Kollegen. Es erklärt nicht vollends, weshalb «Die Zarenbraut» so wenig bekannt ist. Gewiss, die vieraktige Oper hat ein paar Nachteile. Sie ist nicht komplex, sondern verständlich. Das Schild des Banalen wird ihr dennoch niemand anhängen, der sie gehört hat. Die künftige Zarenbraut ist nicht nur für den Herrscher die schönste aller Frauen. Auch der ihm ergebene finstere Grigori ist in Liebe zu der schönen Marfa, wie sie heisst, entbrannt. Allein, wir wissen es, sie liebt einen anderen. Da muss wieder einmal ein Zaubertrank her. Gemischt von einem deutschen Arzt soll er Marfa auf Grigori einstimmen. Rimski-Korsakow kannte seinen Wagner. Auch er lässt zu, dass die Arme statt des Liebessaftes eine Brause trinkt, die langsame körperliche Zerstörung mit sich bringt. Den Tausch hat die eifersüchtige Ljubascha vorgenommen. Sie, Marfa und Grigori sind die Protagonisten einer Handlung, die zeigt, wie schwer sich Liebe unter dem drastischen Dreinfunken eines Despoten entwickeln kann.

träume. Johannes Schaaf schildert das in sorgfältiger Personenregie. Und mit kräftiger Symbolik. In Marfas Träume einer glücklichen und freien Zukunft flattert wie ein schlechtes Omen das riesige Porträt des finster dreinblickenden Ivan. Seine aggressiven Helfer stecken in Ledermantel und Wolfsmaske oder, wie Grigori, in einem struppigen Pelz. Eine, die schon verderbt ist von dieser wilden Tyrranis, die schöne Ljubascha, wird ebenfalls von Pelz umhüllt. Das Tierhaar kann auch Erotik ausdrücken, was hier in unangenehmer Nähe zur aggressiven Animalität passiert. Erich Wonder baute einen expressionistischen Bühnenraum. Man fühlt sich in den hohen kahlen Räumen wie bei Eisenstein.

Die Hommage an «Scheherazade» ist hier Projektionsfläche für Träume und imaginäre Räume, durch die als Motto fröhlich die Pferde galoppieren. Das freie Tier macht den unfreien Menschen umso deutlicher erkennbar, und wenn die sterbende Marfa am Schluss einen dünnen roten Faden in den Händen hält, wird einem klar, dass aus diesem kalten Labyrinth noch lange keiner herausfinden wird. Die zarten Schleier sind weg, die zarten Träume zerstört.

tragik. Maya Dashuk trägt die Verantwortung der grossen tragischen Titelheldin mit tänzerischer Leichtigkeit. Weich ihre Mittellage, fokussiert die Höhen, berührend das Vibrato. Vladimir Stoyanov ist ein vielschichtiger stets präsenter Grigori. Liliana Nikiteanu als Ljubascha setzte nach einem schwachen Beginn zum Höhenflug an. Im Ensemble enttäuschte einzig Alexey Kosarev, der den Part des Lykow unbeholfen sang. Vladimir Fedoseyev und das Opernorchester begleiteten sensibel, holten aus der lyrischen Partitur eine Vielzahl von Klangfarben.