Zwischen Belcanto und Wagner

Tobias Gerosa, Der Bund (31.05.2005)

Zarskaja newesta, 29.05.2005, Zürich

Eine Rarität, die das wohl bleiben wird: Rimski-Korsakows «Zarenbraut» am Opernhaus Zürich

Das Opernhaus Zürich präsentiert die «Zarenbraut» des 1844 in der russischen Provinz geborenen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakows, der insgesamt 15 Opern schrieb und seine 1899 uraufgeführte «Zarenbraut» am höchsten schätzte.

Das slawische Repertoire fristet am Opernhaus Zürich trotz unerreichter Premierenzahl ein Rand-Dasein. Wenn nun erstmals in Zürich Nikolai Rimski-Korsakows «Zarskaja Nevesta» (Die Zarenbraut) aufgeführt wird, fällt die Stückwahl daher aus dem Rahmen dessen, was sich das Publikum gewohnt ist. Wenn die Premiere dann noch auf einen Hitzesonntag fällt, bleiben auffallend viele Sitze leer.

Der Zar hat in Rimski-Korsakows 1899 uraufgeführter Oper «Die Zarenbraut» – Iwan einen einzigen stummen Auftritt: Als anonym vorbeigehende Gestalt. Doch auch seine Braut bekommt wenig Profil und allen andern Personen geht es nicht besser.

Nach der viertelstündigen grossen Eröffnungsszene, die Vladimir Stoyanov mit kernigem, aber eindimensionalem Bariton stemmt, verschwindet der Bojar Grjasnoj bis fast am Schluss, der Geheimdienstchef (mächtig drohend: Pavel Daniluk) und der fremde, geheimnisvolle Zauberer-Arzt (zu laut: Martin Zysset) haben ihre grossen Auftritte, bevor man weiss, was sie in der Geschichte überhaupt für eine Rolle spielen.

Ein Handlungsbogen ergibt sich so nur schwer. Diese Hauptschwäche des Librettos macht eine Inszenierung der Oper schwierig, gerade auch bei Ljubascha. Sie, die mit dem eifersüchtigen Vertauschen des Liebes- mit dem Todestrank die grosse Tragödie erst auslöst, bekommt zwar die ergiebigsten Szenen, dramaturgisch bleibt sie aber unterbelichtet, so reich und ausdrucksstark Liliana Nikiteanu bei ihrem Start ins dramatischere Fach auch singt.

Historisch-soziale Folie

Johannes Schaaf, erstmals seit seiner Aida 1997 wieder am Opernhaus tätig, versucht das Problem zu lösen, in dem er sich auf das Verdeutlichen der Handlung beschränkt: Eine praktikable, aber brave Vorgehensweise. Doch immerhin bringt Schaaf zusammen mit seinen Ausstattern Erich Wonder und Andrea Schmidt-Futterer etwas historisch-soziale Folie hinter die Oberfläche des Stücks, indem sie den Konflikt zwischen rückständigem Zarentum und westorientierten Reformen aus der Entstehungszeit der Oper andeuten. Wie das mystische Element des Zauberpulvers hier hineinpasst, welches die vom Zaren, Grjasnoj und Lykow umworbene Marfa gefügig machen soll, bleibt allerdings so rätselhaft. Marfas Wahnsinnsszene fällt eher blass aus, weil Maya Dashuks Sopran auch ohne das störend grosse Vibrato klein und unscheinbar bliebe. Dafür bieten die illusionistischen Vorhänge Wonders mit ihrer Kombination von gemalten und real räumlichen Elementen raffiniert gestaffelte Räume – doch auch sie lassen eine stringente Erzählidee vermissen und bleiben im nur Schönen verhaftet. Der Symbolgehalt der kitschig weissen Airbrush-Pferde auf dem Zwischenvorhang als Traumgeschöpfe einerseits und andererseits als Vieh, wie die Dutzenden von Bewerberinnen, die als Zarenbraut «selektioniert» werden, wirkt eher plump.

Insgesamt zu laut

Da setzen Schmidt-Futterers helles Gewand für den «Westler» Lykow (Alexey Kosarevs) und die eindrücklichen Wolfsköpfe des prägnant singenden Herrenchors der Opritschniki stärkere Zeichen.
Solche sendet auch Vladimir Fedoseyev aus dem Orchestergraben. Er lässt die Musik den Raum zwischen gefälligen, belcantesken Arien und mehr an Wagners Instrumentarium erinnernden Passagen vor allem in den Ensembles sensibel füllen, ohne damit allerdings über eine gewisse Auswechselbarkeit hinwegzuhelfen. Unverständlich auch, warum er die Lautstärke der Sängerinnen und Sänger der differenzierten Orchesterbehandlung so wenig anpasst.

So gerät von der Bühne einiges zu laut. Die Schwächen liegen auch im Werk selbst, mit szenischer Ängstlichkeit und bloss solider Besetzung lassen sie sich nicht kompensieren.