Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (31.05.2005)
«Die Zarenbraut» von Nikolai Rimski-Korsakow am Opernhaus Zürich
Ein Stück «russischer Seele», präsentiert von einem unvergleichlichen Kenner: Vladimir Fedoseyev dirigiert am Opernhaus Zürich Nikolai Rimski-Korsakows «Zarenbraut». Ein lohnender Einblick.
Man kennt sie mittlerweile recht gut, die russische Opernliteratur, die meist mit grossen Massenszenen und viel Pomp brilliert. Auch in Nikolai Rimski-Korsakows «Zarenbraut» kann man sich daran ergötzen; dank der Einstudierung von Jürg Hämmerli auf hohem Niveau notabene. Und trotzdem ist die hierzulande völlig unbekannte «Zarenbraut» mehr ein subtiles Seelengemälde mit teilweise stark verinnerlichten, epischen Momenten.
Erzählt wird die Geschichte von Marfa, die Iwan Lykow versprochen ist und schliesslich von Zar Ivan zur Braut erkoren wird. Auch Grjasnoj, ein Offizier aus der Spitzeltruppe des Zaren, liebt sie. Er verlässt deswegen seine Geliebte Ljubascha, lässt einen Zaubertrank zur Eroberung seiner Angebeteten brauen und verabreicht ihr stattdessen unwissentlich ein Nervengift, das ihm Ljubascha untergejubelt hat. Am Schluss wird Lykow durch die skrupellosen Machenschaften Grjasnojs exekutiert, verfällt Zarin Marfa in Wahnsinn und gestehen Grjasnoj und Ljubascha ihre Verbrechen.
Bildhaft doppelbödig
«Die Zarenbraut» ist ein raffiniertes Nebeneinander von märchenhafter Liebesintrige und politisch-terroristischem Ränkespiel. Zar Ivan erscheint persönlich nie auf der Szene und hält doch alle Fäden in der Hand.
Der Regisseur Johannes Schaaf versucht zusammen mit seinem Bühnenbildner Erich Wonder, diese Doppelbödigkeit durch mehrere, nach hinten gestaffelte Schleier zu zeigen, auf die die Handlungsorte oder metaphorische Bilder (Pferde-Darstellungen) projiziert werden. Ermöglicht diese Technik einerseits schnelle Verwandlungen, so wirken sie andererseits etwas gar plakativ. Dazu gehören auch Kostümversatzstücke wie die mit Hundemaske auftretenden Zarenspitzel.
Dabei ist die Musik von Rimski-Korsakow dank subtiler Instrumentation und raffinierten epischen Klangbildern an sich sprechend genug. Und sie wird von Vladimir Fedoseyev und dem agilen Opernhausorchester differenziert ausgelotet.
Hinreissendes Elend
Brillant gestaltet Liliana Nikiteanu in diesem musikalischen Kontext die Rolle der Ljubascha: Ein Seelengemälde erster Güte, wie sie im 1. Akt ohne Orchesterbegleitung ihr Lied hinzaubert, oder wie sie mit herben und schmeichelnden Tönen den Arzt (Martin Zysset) umgarnt. In nichts steht ihr der Grjasnoj von Vladimir Stoyanov nach, der mit prächtigem Bariton von vielfältigen Schattierungen die Zerrissenheit dieser Figur nachzeichnet.
Etwas anders gestaltet sich die grosse Schar der mittleren und kleineren Rollen, die von der Regie unterschiedlich profiliert geführt werden. Nicht zu überzeugen vermag Alexey Kosarev als Lykov, der mit seinem engen, flirrenden Tenor den nötigen Schmelz vermissen lässt. Alfred Muff in der stereotypen Rolle des Vaters von Marfa lässt seinem mächtigen Bass freien Lauf, bleibt aber als Figur blass. Auch Pavel Daniluk ist mit seiner laut zur Schau gestellten Stimme zu einförmig.
Zwiespältig bleibt der Eindruck von Maya Dashuk als Zarenbraut. Verfügt sie auch über einen wenig tragenden Sopran, der dem Jungmädchen Marfa an stimmlicher Ausstrahlung einiges schuldig bleibt, so gestaltet sie mit zart hingehauchten, flageolettartigen Tönen eine hinreissende Wahnsinnsszene im Schlussakt. Es ist nicht zuletzt diesem «Elend» zu verdanken, dass man Grjasnojs und Ljubaschas Bekenntnis zu «Schuld und Sühne» verstehen kann.