Russische Rarität

Holger Noltze, Deutschlandfunk (31.05.2005)

Zarskaja newesta, 29.05.2005, Zürich

Nikolai Rimsky-Korsakovs "Zarenbraut" in Zürich
"Die Zarenbraut" heißt eine selten gespielte Oper des russischen Komponisten Nikolaj Andrejewitsch Rimsky-Korsakov. Das Eifersuchtsdrama spielt zur Zeit Iwans des Schrecklichen, also unter Bedingungen einer Schreckensherrschaft. Trotzdem ist Regisseur Johannes Schaaf nicht der Versuchung erlegen, Aktualität durch Bezugnahme auf Putins "gelenkte Demokratie" künstlich herzustellen.

"Spassiba", danke, "direkt ins Herz…" sind Ljubaschas letzte Worte, nachdem ihr Grjasnoj das Messer eingeführt hat, der Mann, den sie liebt und dessen Liebe (oder was sie dafür hielt) sie verloren hat. Direkt ins Herz ist überhaupt die Richtung, in die Rimski-Korsakows neunte seiner vierzehn Opern zielt, ein Historienreißer, wie ihn so nur die russische Geschichte hervorbringen kann; vor allem im Umfeld jenes Zaren Iwan, genannt der Schreckliche, der ja im Zorn seinen eigenen Sohn totgeschlagen hat, unter anderem.

Der Schreckliche Iwan, um dessen unglückliche Zarenbraut es hier geht, tritt übrigens gar nicht auf. Nur sein Bild erscheint einmal, riesig und finster, ein Schock für die Mädchen, die wissen, dass er auf Brautschau ist. In Zürich sieht er ein bisschen wie Lenin aus, jedenfalls kein bisschen wie Putin. Versuchungen solcherart Aktualisierung geht Johannes Schaaf aus dem Weg.

Dass das tödliche Eifersuchtsdrama sich aber unter den Bedingungen einer Schreckensherrschaft abspielt, ist sehr gut zu sehen, denn des Zaren gewaltbereite Eingreiftruppe, die Opritschniki, tragen grässliche Hundemasken.

Grjasnoj, der Ljubascha nicht mehr liebt, weil er sich in die schöne Marfa verliebt hat, die ihrerseits aber den Bojaren und Tenor Lykow liebt, Grjasnoj ist ein finsterer Gewaltmensch, der sich selbst nicht kennt. Wladimir Stoyanow entwickelt das Psychogramm von einem, der Begehren mit Liebe verwechselt, Stärke mit Skrupellosigkeit, und es gelingt ihm mit souverän eingesetzten Mitteln des Gesangs:

Ich bin ein anderer, singt Grjasnoj, und täuscht sich, so wie sich alle täuschen und trügen in dieser Oper, für die Erich Wonder konsequent Trug- und Täuschungsbilder erfunden hat. Fast die ganze Handlung spielt hinter Zwischenvorhängen, in einer verwirrenden visuellen Dramaturgie zwischen Bild und Abbild, real und surreal.

Wonders Projektionstheater bietet der Regie nicht nur gute Gelegenheit, die von Rimski-Korsakow reichlich vorgesehenen Einlagen zu bebildern, es verlegt die Handlung dahin, wo es spannend wird: in die inneren, die Seelenräume der drei, auf die hier alles ankommt: Neben Grjasnoj also Ljubascha, die Rächerin, und Marfa, deren Unschuld vom Lande sich solange an die Idyllen-Projektionen der Kindheit klammert, bis ihre Welt untergeht: sie selbst vergiftet, der Geliebte verleumdet und ermordet. Marfa fällt erst in Ohnmacht, dann in Wahn, und in grausamer Ironie lässt Schaaf sie unter dem Mantel des Mörders Schutz suchen

Maya Dashuk. Man hätte ihr, zu der großen darstellerischen Präsenz, noch einen Hauch mehr vokalen Schmelz gewünscht, wie auch ihrem ein wenig blässlichen Lykow Alexey Kosarev. Mit schönem Piano, manchmal bedenklich heftigem Vibrato die Rumänin Liliana Nikiteanu als Giftmörderin Ljubascha. Nobel und ausgeglichen noch im Vaterschmerz Alfred Muff als Kaufmann Sobakin. Begeistert feierten die Zürcher ihre erste Begegnung mit der "Zarenbraut".

Schaaf und Wonder haben die Bühnentauglichkeitsprobe des bei uns seltenen Stücks intelligent bestanden. Ein bisschen kunsthandwerklich, aber darin der glänzenden Könnerschaft der Musik Rimsky-Korsakovs durchaus nah. Interessant ist uns, was dahinter steckt. Und Vladimir Fedoseyev dirigiert nicht nur mit Sinn fürs klingelnd Schmissige und Schwelgerische, sondern auch für die frappierende Doppelbödigkeit unter der schieren Schönheit. Das geht direkt ins Herz, aber eben auch durchs Hirn. Insofern: Spassiba.