Der liebe Diktator

Roger Cahn, Blick (26.04.2005)

La clemenza di Tito, 24.04.2005, Zürich

Das Premierenpublikum feierte am Sonntag ein hervorragendes Mozart-Ensemble und den Dirigenten Franz Welser-Möst. «La Clemenza di Tito» im Zürcher Opernhaus ist eine musikalische Sternstunde.

Ungewöhnlich für eine Oper: keine Toten und am Ende lauter gute Menschen auf der Bühne! Ein Diktator, der die Rache nicht kennt und selbst jenen verzeiht, die ihm nach dem Leben trachten; der Frauen, die er selbst heiraten möchte, jenen Männern zuführt, die sie wirklich lieben.

«La Clemenza di Tito» war ein Schnellschuss. In nur 18 Tagen soll Mozart den Auftrag für die Prager Krönung von Kaiser Leopold II. fertig gestellt haben, wenige Monate vor seinem Tod. Das Resultat: eine kurze, wohlklingende Huldigung an einen aufgeklärten Herrscher.

Drei Elemente zeichnen die Produktion aus:

Ein Sextett von Solisten, das in sich bestens harmoniert, mit einer hervorragend disponierten Vesselina Kasarova als Sextus an der Spitze. Es beweist, wie mit differenziertem, selbst leisem Singen Emotionen über die Bühne kommen.

Ein Dirigent, der Orchester, Chor und Solisten mit Präzision, Liebe zum Detail und viel Einfühlung führt.

Ein geschickter dramaturgischer Eingriff: Statt die künstlichen Rezitative zu singen, werden diese als Dialoge gesprochen, in einer neuen Version von Iso Camartin. So kommen die Befindlichkeiten der Figuren deutlicher zur Geltung.

Der am Ende mit vereinzelten, lauten Buh-Rufen bedachte Regisseur Jonathan Miller reduziert die Handlung auf einen symbolischen Ort in städtischer Umgebung. Die Macht trägt Uniformen der 30er-Jahre; die Damen und Herren der Gesellschaft kommen im Mafia-Look daher. Form und Inhalt im Widerspruch.

Fazit: Sehens-, aber vor allem hörenswert. Kulinarischer Mozart auf Weltklasse-Niveau