Herbert Büttiker, Der Landbote (04.04.2005)
Opera seria? «Cesare» ist in der Zürcher Inszenierung auch deren Parodie. Händel nennt sein Werk schlicht «An Opera» und lässt vieles offen. Eindeutig Marc Minkowski: Er brennt ein musikalisches Feuerwerk ab.
Caesar besiegt Pompeius und will jetzt Ägypten ordnen, wo Kleopatra mit ihrem Bruder Ptolemäus um die Regentschaft streitet. Willkür herrscht: Ptolemäus und sein General Achillas ermorden den geschlagenen Pompeius, werden aber als Rivalen um dessen schöne Witwe Cornelia zu Feinden. Ihr Sohn Sextus greift ein und rächt den Vater. Achillas und Ptolemäus sterben, Caesar setzt Kleopatra als Königin ein. Händels «Giulio Cesare in Egitto», 1724 uraufgeführt und als eine der aufwendigsten Produktionen einer der grössten Erfolge und ein Repertoirestück seiner Zeit, mischt die Historie in einer szenenreich verwickelten Intrigenhandlung auf, und mit der Liaison von Caesar und Kleopatra hält ein komödiantisches Element Einzug: Die berechnend kokette Ägypterin verführt den Kriegshelden als Dienerin verkleidet und mit musikalischem Spektakel als Göttin auf dem Parnass.
Wie viel «Opera seria», wie viel ironisches Gezwinker, wie viel humanistischer Ernst, wie viel Unterhaltung in Händels «Opera» liegen – diese Frage darf jede Inszenierung neu beantworten. Das macht den Reiz der modernen Beschäftigung mit der Barockoper auf der Bühne aus und ist die subtile Herausforderung im Umgang mit der über dreistündigen Arienkette, deren einzelne Glieder vielfarbig schillern – in zündendem Passagenwerk und in die Tiefe lotendem Legato. Damit weiss das Zürcher Virtuosen-Ensemble viel anzufangen, dass es von Cesare Lievis Regie immer überzeugend positioniert wird, mag man bezweifeln.
Dekoration ist alles
Achilla überbringt Cesare den Kopf des Pompeo in einer bunten Schachtel. Sie ist wohl leer: Dekoration ist alles. Margherita Palli (Bühnenbild) und Marina Luxardo (Kostüme) haben (die) ganze Arbeit geleistet. Zur Ausstattung gehören grosse seitliche Regale, die wechselnd Objekte und Figurinen präsentieren, dazu eine Hinterbühne als Strasse, auf der Raketenbasen und Truppen vorbeifahren oder Tempelsäulen stehen. Von der Decke hängen Schiffsschrauben, von der Seite her erscheint als Schablone das Kriegsschiff und auch die Pyramide – als skurril verfremdetes Zitat erscheint Ägypten in einem leuchtfarbenen Kunststoffzeitalter.
Die barocke Ausstattungsoper (dafür ist «Giulio Cesare» ein berühmtes Beispiel) mit den Mitteln der Revue-Ästhetik parodiert: auch das ist Stil – und Phantasie erst recht. Aber die Vergröberung bekommt dem Personal der Oper nicht eben. Tolomeo ist in seinem Streifenkostüm ein Comic-Depp und als Kleopatras, Cesares und Sestos Gegenspieler ein Witz – mit dem Nachteil, dass die manchmal forcierte Altusstimme von Martín Oro im gleichen Licht erscheint: als Karikatur. Mit brillantem Stimmeinsatz windet sich Cecilia Bartolis Kleopatra zwar traumwandlerisch mühelos über diese Sphäre hinaus, aber die Aura der legendären Gestalt findet sie kaum. Eher ist sie die Italiana in Egitto der Opera buffa: Wenn ihr Cesare in den Krieg zieht, muss sie ihn beim Abschied noch ein wenig kitzeln. Franco Fagioli verfügt über einen stabilen und wendigen Countertenor für die Auftritte des Imperators in weisser Marineuniform. Die Bühne gibt ihm aber wenig Statur, und vor allem wenn er sich dann doch ein wenig versteift durch die hürdenreichen Arienpassagen arbeitet, wirkt er im skurrilen Dekor weder staats- noch traummännisch.
Wettkampf der schnellen Noten
Die berühmte Liebesgeschichte scheint überhaupt ein Wettkampf der schnellen Noten zu sein, aber Händelsche Largos stellen dem heroischen Paar auch die Momente von grossartiger lyrischer Verdichtung bereit, philosophische Nachdenklichkeit und Vanitas-Einsicht für Caesar im Recitativo accompagnato, ein bewegendes Stück wie «Piangerò la sorte mia» für Kleopatra: Momente, die den Figuren innere Grösse geben und noch mehr geben könnten, wenn sie nicht sentimental überladen würden. Weniger Ergriffenheit, mehr Ton wünschte man sich da manchmal.
Wie packend Ausdruck sein kann im ganzen dynamischen Spektrum, auch im Pianissimo, wenn die Balance stimmt, führt eindrücklich Anna Bonitatibus in der Partie des Sesto vor, man darf sagen für Zürich die Entdeckung des Abends. Natürlich ist Sesto auch eine geradlinige, von einem einzigen Gefühl beseelte und deshalb wirkungssichere Figur, aber die dramatische Inbrunst, die Lebendigkeit hat hier auch ein Organ: eine frische Sopranstimme, die kontrolliert und gelöst Phrasen formt und Attacken freisetzt. Als ernste, auch im glamourösen Galakleid von aller Hollywood-Parodie unberührte Figur gestaltet die Mezzosopranistin Charlotte Hellekant eindrücklich die Cornelia, und ein Intrigant von ernst zu nehmendem Gewicht ist trotz aller Buntscheckigkeit seiner Erscheinung Alan Ewing, dessen Bariton die erforderliche Beweglichkeit und Schwärze hervorragend verbindet. Das ist umso erfreulicher, als er der einzige Hauptpartie im Brustfach ist. In Nebenpartien vervollständigen der Countertenor José Lemos (Nireno) und der Bariton Gabriel Bermudez (Curio) die Besetzung.
Funken und Fragezeichen
Die vielen hohen Stimmen haben ein starkes Fundament. Was Händel an Energien in die Bassfiguren gelegt hat, spielt das Orchester aus: Dafür hat Marc Minkowski einen phantastischen Griff, und das Opernhaus-Barockensemble «La Scintilla», das seinem Namen Ehre macht, sprüht Funken. Nichts wackelt im rhythmischen Furioso und Temporausch, in dem die Solisten Unglaubliches leisten, Sänger wie Instrumentalisten. «Cesare» ist eine reich ausgestattete Partitur, ein ganzes Orchester steht in der Parnass-Szene auf der Bühne, und die Inszenierung lässt auch die solistischen Arienbegleitungen von Violine und Horn auf der Bühne spielen: alles hoch virtuos, so dass man die Frage, ob dieses Ausreizen der Extreme (auch bei den langsamen Tempi) nicht den Gesangsstimmen an die Substanz geht, fast nicht stellen mag. Aber wenn die szenische Aufführung ihre Buhs einstecken musste, darf auch die musikalische im Jubel ein paar Fragezeichen haben.