Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (05.04.2005)
Alle Register ihres grossen Könnens kann die italienische Mezzosopranistin in der sanft modernisierten Barockoper Händels ziehen.
Der römische Feldherr Julius Cäsar begibt sich nach Ägypten, wohin der von ihm besiegte Pompeius geflohen ist. Um ihn endgültig zu schlagen? Nein, um sich mit ihm auszusöhnen. Daher ist seine Empörung gross, als ihm der Heerführer Achillas im Auftrag des ägyptischen Königs das Haupt des ermordeten Pompeius überbringt, in der irrigen Meinung, dadurch Cäsar für den König günstig zu stimmen. Mit den Affekten des Zorns, der Empörung (Cäsar), der Trauer (Pompeius' Gattin Cornelia) und der Rachsucht (Pompeius' Sohn Sextus) hebt Georg Friedrich Händels Oper an und leitet eine ganze Kette von Affekt-Ausbrüchen und jäh wechselnden Situationen ein, die während beinahe vier Stunden auf Auge und Ohr des Zuschauers und Zuhörers niederprasseln.
Aufgebrochene starre Formen
Denn die Zürcher Neuinszenierung gibt «Giulio Cesare in Egitto» ungekürzt, mit allen Dacapos der Arien. Muss dies nicht zu tödlicher Langeweile führen? Vor zwanzig Jahren hätte man sich noch kaum vorstellen können, dass eine solche Opera seria, in der es nur Rezitative und Arien, kaum Duette und schon gar nicht Ensembles gibt, einen Opernbesucher von heute zu fesseln vermöchte. Wenn eine Händel-Oper trotzdem auf die Bühne gebracht wurde, dann geschah dies meist in (gekürzten) Bearbeitungen und womöglich in statischen, antik ausstaffierten Inszenierungen.
Heute geht man andere Wege, bricht die starre barocke Form auf, und diesen Weg geht auch die Zürcher Neuinszenierung von Cesare Lievi (Inszenierung), Margherita Palli (Bühnenbild) und Marina Luxardo (Kostüme). Da erscheint etwa Cäsar, in eine moderne weiss-schwarze Uniform gekleidet, mit Panzern im Gefolge, da schwingt Sextus eine Pistole, da hängen drohend Raketen (oder Schiffsschrauben?) von oben herab - dies nicht plump, sondern beinahe spielerisch, als Zeichen in einem weit gehend abstrakten Raum (die in der Operngazette gross angekündigte Las-Vegas-Ausstattung beschränkt sich auf ein paar angedeutete ägyptische Formen und Figuren). All dies dient lediglich als Hintergrund für die sich schier pausenlos folgenden Intrigenspiele und sich anbahnenden Liebeskonflikte. Denn daran waren Händel und sein Librettist Nicola Francesco Haym interessiert und konnten nicht genug tun im Erfinden unablässig wechselnder Aktionen.
Durchglühte Barockmusik
Den Ausschlag gibt dabei die Musik, die zum Inspiriertesten und Herrlichsten gehört, was Händel eingefallen ist. Wenn dann noch ein von der Händelschen Kunst so überzeugter und seine Überzeugung so impulsiv vermittelnder Dirigent wie Marc Minkowski am Pult steht und die Besetzung so gut ist wie jetzt in Zürich, so kann nichts mehr schief gehen. Zwar verriet das auf historische Instrumente spezialisierte Orchestra La Scintilla des Opernhauses Zürich in der Ouvertüre noch kaum, dass es in einer ungewöhnlich grossen Besetzung im erhöhten Orchestergraben Platz genommen hatte, und klang anfänglich ziemlich rau.
Der Countertenor Franco Fagioli alias Julius Cäsar sang die ersten Verse - darunter immerhin das aus einem späteren historischen Kontext übernommene «Veni, vidi, vici» - noch verhalten. Doch das änderte sich im Laufe der Aufführung, einer Aufführung, die mit dem entspannt aufdrehenden Orchester spätestens in der Parnass-Szene einen ersten Höhepunkt erreichte.
Alle Facetten
Eine Steigerung konstatierte man auch bei den Solisten, von denen namentlich Anna Bonitatibus (Sextus) durch ihren dramatischen Einsatz imponierte. Sie war stimmlich ihrer gut aussehenden Partnerin Charlotte Hellekant (Cornelia) überlegen, was sich nicht zuletzt im wunderbaren Duett zeigte. Zu wahrhaft sinnlicher Glut aber erhob sich das musikalische Geschehen bei den Auftritten Cecilia Bartolis als Kleopatra, die zuerst die Liebe als Mittel der Intrige einsetzt (unter dem Namen Lydia), dann aber selbst von der Liebe (zu Cäsar) ergriffen wird.
Der italienische Publikumsliebling liess alle Facetten der schillernden Figur von bravouröser Koketterie bis zu tief emotionalem Ausdruck spielen, machte die Wandlung und den Aufstieg von der oberflächlichen Verführerin zur Geliebten Julius Cäsars und zur ägyptischen Königin überaus glaubhaft und setzte der Aufführung die Krone auf.