Schwarz-weiss und blutrot

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (04.04.2005)

Giulio Cesare in Egitto, 02.04.2005, Zürich

«Giulio Cesare» von Händel im Opernhaus Zürich

Vierzig Nummern sind es, die meisten davon Da-capo-Arien, und selbst wenn einige von ihnen wegfallen, wie es im Opernhaus Zürich der Fall ist, dauert der Abend seine guten vier Stunden. Das muss einem nicht lang werden, kann es aber sehr wohl. In «Giulio Cesare», der vor einem Hintergrund an Egoismus und Gewaltanwendung ausgebreiteten Liebesgeschichte zwischen Cäsar und Kleopatra, ist Georg Friedrich Händel zu seinem Besten gelangt; zugleich aber ist eine Aufführung dieses prunkvollen Grosswerks von 1724 mit Anforderungen verbunden, denen heute kaum mehr zu genügen ist.

Die vokale Technik zum Beispiel, sie kann einen nur erschauern lassen. Schwierigkeiten sondergleichen bietet nicht nur die Da-capo-Arie, bei der ein erster Formteil nach einem im Tonfall andersartigen Mittelstück wiederholt und mit stilgerechten Verzierungen versehen werden soll. Probleme schafft auch die unglaubliche Geläufigkeit, die instrumentale Agilität eins zu eins in den Bereich des Singens überträgt und durch eine Vielzahl an technischen Verfeinerungen ergänzt. Niemand beherrscht dieses Feld so souverän wie Cecilia Bartoli; ihre Verkörperung der Kleopatra setzt der Produktion der Zürcher Oper ein ganz besonderes Glanzlicht auf. Leichtfüssig hebt sie an mit «Non disperar» im ersten Akt, wo sie im Dacapo eine unglaubliche Palette an gewagten Verzierungen ausbreitet. Bereiche des gehauchten Pianissimo erreicht sie in den Momenten der Verzweiflung im zweiten Akt, während sie im Finale ein wahres Feuerwerk an Koloraturen zündet.

Cecilia Bartoli zu haben, reicht aber nicht - und das ist die Crux. Nicht weniger als drei Männerrollen hat Händel für Kastraten geschrieben; heute werden diese Partien gerne Altisten übertragen, und mit Franco Fagioli hat das Opernhaus Zürich für die Partie des Cäsar einen jungen Sänger gewinnen können, der manche Hoffnung weckt. Die Technik beherrscht er blendend - allein: Für eine derart gewichtige Partie ist er noch keineswegs so weit. Brillant perlen die Läufe, wenn er zu Beginn den Ägypter Achilla (Alan Ewing) seinen Zorn spüren lässt; bei der Trauer um seinen ermordeten Widersacher Pompejus eine halbe Stunde später fehlt es ihm aber noch klar an Empathie und Gestaltungsvermögen. Noch problematischer die Auftritte von Martín Oro (Tolomeo) mit seinem unschönen Timbre und von José Lemos (Nireno), der mit den Registerwechseln kämpft. Gute Figur macht Gabriel Bermúdez in der kleinen Rolle des Curio. Weniger gilt das für Charlotte Hellekant (Cornelia), die musikalisch farblos bleibt, und Anna Bonitatibus (Sesto) mit ihrem penetranten Vibrato.

Insgesamt herrscht anhaltender vokaler Überdruck, was auf Kosten des differenzierten Gestaltens geht. Das mag auch dem Dirigenten Marc Minkowski anzulasten sein, der mit feurigem Temperament bei der Sache ist, im Zuspitzen der Kontraste aber gern des Guten zu viel tut. Anders als bei der schönen Aufnahme, die Minkowski und die Musiciens du Louvre im November 2002 im Konzerthaus Wien erstellt haben (Deutsche Grammophon 474213-2), klingt das Orchester La Scintilla der Oper Zürich an manchen Stellen rau und ungeschlacht, und nicht immer treten die konzertierenden Instrumente, die Händel so phantasievoll einsetzt, mit dem nötigen Gewicht in Erscheinung. Wie viel instrumentaler Reiz von dieser Partitur mit ihren vier prächtigen Waldhörnern und der reizvollen Bühnenmusik ausgeht, ist aber durchaus zu erfahren.

Schwarz-weiss - das findet sich auch auf der Bühne von Margherita Palli und in den Kostümen von Marina Luxardo. Dazu kommt Rot, denn «Giulio Cesare» ist ja eine blutige Geschichte. Und kommt eine Fülle an dekorativen Elementen, die vor allem dazu dienen, den Krieg und die mit ihm verbundenen Strukturen ins Lächerliche zu ziehen. Allerdings machen aufgedonnerte Uniformen, Spielzeugpanzer und phallische Raketen noch keine Interpretation aus - vor allem, wenn die Ausgestaltung der einzelnen Figuren so unverbindlich bleibt, wie es bei Cesare Lievi der Fall ist. Händeringen und Rampensingen, das aber ausführlich.