Stimmzauber und allerlei Plunder

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (05.04.2005)

Giulio Cesare in Egitto, 02.04.2005, Zürich

Das Opernhaus Zürich inszeniert Georg Friedrich Händels «Giulio Cesare in Eggito»

Vor allem dank Marc Minkowski und einem hervorragenden Sängerensemble, in dem nicht nur Cecilia Bartoli brillierte, wurde Händels «Giulio Cesare» am Samstag im Zürcher Opernhaus zum Ereignis von begeisternder Intensität.

Marc Minkowski vertraut als Dirigent auf ganz grundsätzliche Prinzipien der musikalischen Interpretation. Er hat damit nicht nur Erfolg, sondern er ist auch einer der ganz wenigen Spitzendirigenten, der zum Beispiel ein konsequentes Pianissimo zustande bringt. Ein laues Leisesein ist oftmals das höchste der Gefühle, das andere zustande bringen. Bei Minkowski hingegen wird die Hörschwelle angetastet, und das hat eine Intensität zur Folge, die den Raum zum Vibrieren bringt.

Minkowski ist weder ein Analytiker noch ein Tüftler. Er brütet nicht über den Partituren, sondern bringt die Energie zum Fliessen, er ist ein Instinktmusiker, der aus dem Moment heraus gestaltet - was keineswegs ausschliesst, dass er seine Partituren bis ins Innerste kennt. Aber im Moment der Aufführung haben nicht diejenigen Elemente Gewicht, die vorher ausgetüftelt worden sind, sondern das, was auf dieser erarbeiteten Basis heraus aus dem Augenblick entstehen kann. Und weil jeder Moment mit Energie und Gehalt aufgeladen ist, wird auch eine Händel-Oper von vier Stunden Dauer bei Minkowski keinen Moment langweilig.

Man kann sich Musik vorstellen, in der ein solches Musizieren weniger hergeben würde. Bei der Abfolge von beinahe unzähligen Da-Capo-Arien, ist aber keine Musizierhaltung dieser überlegen. Deswegen vor allem wurde «Giulio Cesare» am Samstag zum Opernereignis.

Nicht der Star-Ruhm einer Bartoli, nicht die ungeahnten sängerischen Qualitäten Anna Bonitatibus als überragendem Sesto, nicht die elektrisierende Stimme des Countertenors Franco Fagioli in der Titelrolle machten es aus: In erster Linie waren es Minkowskis Motivations- und Musikanten-Fähigkeiten, die für diese Sternstunden sorgten, Minkowski an der Spitze der grossbesetzten Barockfraktion des Opernorchesters La Scintilla, die mit Stilbewusstsein und Musizierfreude beste Figur machte.

Bei allen stimmt fast alles

Nichts ist damit gegen die Sänger gesagt. Sie erhielten eine Basis, auf der sie wunderbar aufbauen konnten, wenn denn alles weitere stimmte: Technik, Stimme, Gestaltungskraft, Ausstrahlung. Und bei allen stimmte fast alles davon. Am meisten hätte man sich zum Teil schlicht grösseres Volumen gewünscht, um mit Minkowskis Orchester, das nicht nur die Pia- no-, sondern konsequenterweise auch die Forte-Regionen auskostete, stets Paroli bieten zu können. Die drei Countertenöre und Charlotte Hellekant als Cornelia gingen gelegentlich in den Wogen unter.

Aber nicht für lange: Was gerade die schwedische Mezzosopranistin - auch sie für Zürich eine Neuentedeckung - an berührenden Klagegesängen über die Bühne brachte, war allein schon den Abend wert. Und ihr Duett mit Sesto wurde zum magischen Moment eines an Höhepunkten schon reichen Gesangsfestes. Ein Fest, das natürlich auch der Sängerstar Cecilia Bartoli krönte.

Händel schrieb seine koloraturgespickten Arien schliesslich für Sänger solchen Kalibers: Superstars ihrer Epoche. Und wenn heute eine Bartoli diese virtuosen Höchstschwierigkeiten nicht nur mit begeisternder Stimmakrobatik, sondern auch mit dem ihr eigenen Showtalent über die Bühne bringt, dann ist das schlicht richtig und so gemeint und hat deswegen nichts Oberflächliches.

Sinnlose Ausstattungsorgie

Obwohl er mit Vornamen Cesare heisst, hat Regisseur Lievi offensichtlich keine besondere Affinität zu dieser Oper. Seine Personenführung spottet denn auch auch den minimalsten Anforderungen. Selbst dramatische Schlüsselszenen hat er konsequent verschlafen. Ansonsten veranstaltet er zusammen mit der Bühnenbildnerin Margherita Palli eine Ausstattungsorgie, die geprägt war von unsäglichen, völlig unnötigen Requisiten: Styropor-Raketen, niedliche Pyramidchen oder bunt beleuchtete Meereswellen, so weit das Auge reichte. Dazu zwei seitliche dreistöckige, farbbeleuchtete Bühnentürme, von denen man sich anfangs noch etwas Sinnvolles oder Sinnliches erhofft, die aber im Laufe der Inszenierung durch die Beliebigkeit ihres Einsatzes völlig entwertet werden.

Vermuten könnte man, dass Lievi anknüpfen wollte an die Opulenz barocker Inszenierungen mit ihrer Lust am Überfluss, ihren prächtigen Kulissen und Kostümen, mit Bühnenmaschinerien und Show-Effekten. Möglich wären genau zwei Wege, eine solche Absicht zu realisieren: Entweder man setzt wirklich auf Effekte - bloss müssten die in heutigen optisch überreizten Zeiten eine ganz andere Qualität haben als Lievis betuliche Ägyptenbebilderung. Oder dann müsste man mit diesem Ansatz spielen, eine ironische Ebene hinzufügen oder ihn völlig ad absurdum führen.

Davon allerdings waren Lievis harmlose Spielzeugpanzer weit entfernt. Niemand behauptet, dass es einfach sei, Händel-Opern zu inszenieren, und man mag den Stillstand der Handlung während der wunderschönen Arien gerne nicht nur verzeihen, sondern in Anbetracht ihres musikalischen Gehalts sogar begrüssen. Aber wer in dramaturgischen Schlüsselszenen die Personen so dilettantisch führt, dass das Publikum bloss mitleidig lacht, hat seine Aufgabe schlicht nicht erfüllt.