Jede Verzierung ist ein Vergnügen

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (04.04.2005)

Giulio Cesare in Egitto, 02.04.2005, Zürich

Nicht nur Cecilia Bartoli ist hinreissend in Händels «Giulio Cesare in Egitto» im Zürcher Opernhaus.

Eben noch hat Cecilla Bartoli als Cleopatra kokett und koloraturenreich mit Cesare geschäkert, da singt sie schon von bodenloser Verzweiflung, tonlos und klangstark, wie nur sie es kann. Um dann plötzlich wieder vokale Blitze ins Publikum zu schleudern, wie ebenfalls nur sie es kann.

Es geht schnell mit den Stimmungsumschwüngen in Händels «GiulioCesare in Egitto» von 1724, wie es sich fùr eine Opera Seria gehört, die vor allem aus Da-capo-Arien besteht und nur mit kurzen Überleitungen von einem Seelenzustand in einen anderen führt. Nicht nur Cesare reibt sich immer wieder die Augen in diesem Stück: Kaum hat er die Versöhnung mit Pompeo beschlossen, lässt ihm der Ägypterkönig Tolomeo schon dessen abgehauenen Kopf servieren. Und kaum ist er mit seiner Trauerarie fertig, taucht schon Tolomeos Schwester und Konkurrentin Cleopatra als vermeintliches Dienstmädchen Lidia auf und verdreht ihm den Kopf.

Da ist die Stimmung des Werks längst vorgegeben: Zwar ist der Stoff historisch, man befindet sich im Krieg, und zum Happyend gibt es einen toten Tolomeo und die Krönung Cleopatras zur ägyptischen Königin. Aber eigentlich geht es (wie immer) um Liebe und Macht, um Verzweiflung und Hoffnung. Und natürlich darum, dass die Protagonisten ihre stimmlichen Möglichkeiten zur Geltung bringen können.

Hinhören...

Für Letzteres war Händel ein Spezialist, Marc Minkowski ist es ebenfalls. Die ausgreifenden Bewegungen des Dirigenten gehören zum optisch Attraktivsten in dieser Aufführung, und was er mit ihnen aus dem Opern-Ensemble La Scintilla herausholt, ist grossartig. Denn Minkowski ist genauso flink wie Händel, wenn es um Tonfallwechsel geht: In den schnellen Arien entladen kräftige Bässe jene physische Energie, die seinen Interpretationen eigen ist, in den sanfteren werden sie (oft in reduzierter Besetzung) ganz zart. Auf fanfarenartig auftrumpfende Bläser folgen filigrane Ornamente der Blockflöte. Da wird nichts buchstabiert, jeder Ton hat seine Richtung, jede Linie ist eine Geste, jede Verzierung ein Vergnügen, und wenn die Musik in Cleopatras Klagearie für einmal. wirklich stillzustehen scheint, so tut sie das auf bewegte, bewegende Weise.

Minkowski ist ein erfahrener Händelinterpret (sein «Giulio Cesare» ist auch auf CD hörenswert), vor allem aber ist er ein Dirigent von höchst ansteckender Musikalität. Das zeigte der Schlussapplaus, das zeigten auch die auffallend lockeren Auftritte der Sängerinnen, und Sänger. Dass die Cleopatra eine Paraderolle fùr Cecilia Bartoli ist, war abzusehen. Keck hat sie zu sein in den ersten zwei Akten, und sie ist es mit hingetupften Spitzentönen, wirbligen Koloraturen und komödiantischem Talent. Dass sie später, wenn alles gefährdet scheint, zur ernsthaften Figur wird, die in ihrem «Piangerò» den melancholischen Dur?Ton von Pompeos so überaus tragisch gestimmter Witwe Cornelia aufnimmt, wirkt zwar nicht wirklich logisch, sondern eben Seria?mässig. Ergreifend ist es trotzdem.

Weniger vorhersehbar war dagegen der fulminante Auftritt von Franco Fagioli als Cesare: Erst 24 jahre alt, ist der Argentinier, der als erster Countertenor auf dieser Bühne eine Hauptrolle singen darf. Wenn er nicht schon kürzlich als Ottone in der Zürcher «Incoronazione di Poppea» überzeugt hätte, müsste man ihn als Entdeckung preisen: Er gibt den Cesare mit schlanker, beweglicher, strahlkräftiger Stimme ? und darstellerisch mit einer ganz eigenen, trockenen Ironie. Wie er sich nach überstandenen Strapazen den Lorbeerkranz wieder aufsetzt, ist jedenfalls elnen Sonderapplaus wert (einen zweiten gibts für das finale Duett mit Cleopatra).

Zur Traumbesetzung gehört auch Anna Bonitatibus als Pompeos Sohn Sesto; sie darf zwar nicht viel anderes als Rache für den Mord am Vater ankündigen, aber das tut sie mit, leichtem, enorm intensivem Sopran. Ihr Duett mit Charlotte Hellekant, die Sestos Mutter Cornelia facettenreich klagen lässt, ist ein Höhepunkt an diesem Abend. Hellekant war schon auf Minkowskis «Giulio?Cesare»?CD zu hören, Alan Ewing ist ebenfalls ein willkommenes «Mitbringsel» aus jener Produktion: Mit seinem warmen Bass sorgt er als Tolomeos Vertrauter Achilla für eine würdige Vertretung der tiefen Stimmlage.

Dem Tolomeo schliesslich leiht der Countertenor Martín Oro eine weiche, nicht gerade fiese Stimme. Dadurch (und durch die schauspielerische Zurückhaltung) wirkt er weniger überzeichnet als andere Sänger in dieser Rolle, damit auch anonymer: Tolomoe, der libidinös übersteuerte Machtmensch, singt seine unschönen Äusserungen hier für einmal ausgesprochen schön.

… und wegsehen

Auf die Inszenierung von Cesare Lievi hat all diese emotionale Vielfalt und musikalische Schönheit leider kaum abgefärbt. Margherita Palli hat die perspektivische Anlage der barocken Bühne mit zeitgenössisch hässlichen, schwarzglänzenden Fliesen und kalter Pop-Art?Beleuchtung nachgebaut; in Anlehnung an die damalige Begeisterung für Bühnenmaschinerien fahren immer mal wieder ein paar Panzerchen durch den Hintergrund.

Kaum einleuchtender sind die Kostüme von Marina Luxardo (immerhin mit Ausnahme der sechs fantasievollen Roben für Cleopatra): Die Römer (weisser Stoff, schwarzer Lack) sehen aus wie italienische Carabinieri, die Ägypter tragen ägyptischen Kopfschmuck, Pyjama-artig gestreifte Gewänder und die üblichen Accessoires der Mafiosi, als welche die Bösen wieder einmal gezeigt werden. Dass der Ort der Handlung Las Vegas ist, hätte man nie vermutet, wenn es nicht in der Ankündigung gestanden hätte, und Lievis Personenführung zeigt vor allem, wie unterschiedlich die Akustik an verschiedenen Stellen an der Rampe ist. Für einmal muss sich nicht grämen, wer nur einen Säulenplatz erwischt. Der allerdings lohnt sich wirklich.