Sex, Blut, Gewalt und auch Tod

Beat Glur, Neue Luzerner Zeitung (01.12.2006)

Don Carlos / Don Carlo, 26.11.2006, Basel

Calixto Bieito hat vergangenes Wochenende am Theater Basel Verdis «Don Carlos» zur Premiere gebracht. Er geht dabei buchstäblich über Leichen. Solisten, Chöre und Orchester wurden bejubelt, das Regieteam massiv ausgebuht.

Wenn der katalanische Regisseur inszeniert, sind Proteste vorprogrammiert. Der Unwillen des Publikums entlud sich schon vor der Pause. Unter lautstarken Beschimpfungen begab sich ein Teil der Besucher vorzeitig nach Hause.

Den Exodus hatte Bieito provoziert, indem er nach dem dritten Akt einen im Libretto nicht vorgesehenen Text endlos zitieren lässt.

Expliziter Sex

Bieito verlegt das Geschehen am spanischen Königshof Mitte des 16. Jahrhunderts ins Heute. Die Bühne zeigt einen öffentlichen Raum, der ein TV-Studio sein könnte, aber dem Bahnhof Atocha in Madrid nachempfunden ist, in dem im März 2004 bei einem Anschlag 200 Menschen getötet wurden.

Auf in der Station verteilten Monitoren werden Bilder der schrecklichen Ereignisse eingeblendet, und am Schluss der Oper jagt sich Carlos, der bisher dem Morden auf der Bühne bloss teilnahmslos zugeschaut hat, mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft.

Wie Schweine hingemetzelt

Gefühle der Liebe, in Schillers Stück «Don Karlos», der Vorlage der Oper, beschrieben, und in Verdis Musik deutlich gemacht, gibt es bei Bieito nicht. Seine Figuren sind allesamt egozentrische sex- und machtgeile Individuen.

Höhepunkt jeder «Don Carlos»-Inszenierung ist die grosse Autodafé-Szene, die öffentliche Ketzerverbrennung der spanischen Inquisition. Sie wird bei Bieito zu einer Reality-Show mit Publikum, in der die Verurteilten nackt ausgezogen, wie Schweine hingemetzelt und dann als Leichen liegen gelassen werden.

Musikalisch hochstehend

Unbesehen des provokanten Aktionismus ist aber sicher: Basel glänzt mit einer künstlerisch hochstehenden Produktion.

Mardi Byers als Königin und besonders Leandra Overmann als nymphomanische Geliebte des Königs glänzen mit expressivem Schöngesang. Stefan Kocan als König ist ein Gewinn für das neue Ensemble. Marian Pop als Posa wusste ebenfalls gut zu gefallen, während der Einspringer Keith Ikaia-Purdy mit der Titelrolle nicht immer zurechtkam. Der grösste Applaus galt den untadelig singenden Chören.