Halbszenisch - ganz musikalisch

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (04.04.2005)

Giulio Cesare in Egitto, 02.04.2005, Zürich

Georg Friedrich Händels «Giulio Gesare in Egitto» neu am Opernhaus

Politische Intrige, erotische Verführung, exotischer Orient, Wut und Trauer, Hass und Rührung: Händels «Cesare» verfügt über sämtliche Ingredienzien eines «breitleinwandformatigen» Antiken-Knüllers. Szenisch zu spüren ist in dieser Neuinszenierung allerdings kaum etwas, was zu geballten Buhs für den Regisseur führte.

Heute schreiben sie ihre Memoiren selber, all die Grossen der Geschichte, die glauben, in der Welt etwas bewegt zu haben. Und die Regenbogenpresse doppelt nach mit freizügigen Einblicken ins private life, klittert facts und fantasy zusammen und befriedigt damit den Voyeurismus des kleinen Mannes. In früheren Zeiten, als es noch keine Klatschspalten gab und die Bilder noch lange nicht laufen gelernt hatten, liess man sich so etwas auf jenen Brettern vorspielen, welche die Welt bedeuten, im Theater oder in der Oper.

Cäsar und Cleopatra gaben dafür einen besonders ergiebigen Stoff ab. Man stelle sich vor: römischer Feldherr und Politiker (verheiratet) geht Liaison mit ägyptischer Halbweltdame ein, die sich später als ägyptische
Halbkönigin outet. Und damit diese ganz Königin wird, muss er erst noch deren Bruder morden lassen. Ein Stoff, der noch vor einem halben Jahrhundert und neuerdings («Cleopatra», 1999) die Filmemacher wieder zu episch ausgebreiteten Sandalenfilmen animierte, wo kämpferische Muskelpakete als Männer-Oberweiten-Wunder in schweissperlender Action zu bestaunen sind.

Exotische Lustfantasien

In der Tat: Die Lust am Staunen über die antiken Griechen und Römer ist uns auch im 21. Jahrhundert noch nicht abhanden gekommen. Somit ist es durchaus trendy, wenn das Opernhaus Zürich - zwanzig Jahre nach der letzten Inszenierung - Georg Friedrich Händels Oper «Giulio Cesare in Egitto» in einer Neuproduktion auf die Bühne bringt. Zumal das üppig ausladende Werk, 1724 in London uraufgeführt, zu einem von Händels grössten Opernerfolgen wurde.

Niedliche Nullnummer

Alles kommt hier zusammen, was das sensationslüsterne, voyeuristische Herz begehrt. Das Leiden an Liebe und Leidenschaft, das Seufzen unter Tränen, heroische und erotische Eroberungen, die staatsbürgerliche, stoische Tugend Roms sowie ein antiker Orient der Intrigen und des schmählichen Verrats. Ein Orient mit Serail und Haremsdamen und einer gefährlich verführerischen Cleopatra, die in der europäisch normierten Männerwelt seither zum Inbegriff exotischer Lustfantasien geworden ist.

Viel auf einmal, sehr viel. Doch davon ist in der Neuinszenierung von Cesare Lievi am Zürcher Opernhaus nichts, fast nichts zu sehen. Allein schon die Idee, sich den orientalischen Schauplatz Ägypten von der Bühnenbildnerin Margherita Palli als kohlrabenschwarzen, gähnend leeren Innenraum aufrnauern zu lassen, der dann mit betriebsamer Lichtregie «farbsymbolisch» illuminiert wird, will nicht überzeugen.

Noch prekärer wird es, wenn be-hufs der vielen Szenenwechsel die Sängerinnen und Sänger nach vorn an die Rampe geschickt, dann durch eine schwarze Wand (oder einen schwarzen Vorhang) vom Bühnenhinterraum abgetrennt werden. Wäh-rend dort, dem Besucherauge entrückt, die neue Szene aufgebaut wird, nimmt sich das, was auf der schmalen Vorderbühnee an Opern-theater abläuft (oder auch nur herumsteht), bestenfalls als halbszeni-sche Aufführung aus: Händel konzertant, angereichert mit vielen Ges-ten und wenigen Slapsticks aus dem operndramaturgischen Fundus.

Sinnlichkeit und Drive

Was so spannend sein könnte, und in der musikalischen Realisierung auch so spannend ist ?, erschöpft sich auf der Bühne in einer harmlosen Mischung aus Requisiten?Dekor und Design, in halbherziger Anspielung statt wirklichem Spiel. Manchmal fühlt man sich an Kindertheater erinnert: wenn putzige Panzer mit aufgesteckten Raketen über die Bühne rollen, werm himmelhoch ragende Wolkenkratzer eher an die Skyline von New York oder Las Vegas erinnern. Szenisch insgesamt eine niedliche Nullnummer.

Zum Glück gibt es Händels Musik ? eine seiner besten Partituren. Eine Arie folgt auf die andere (und ab und zu ein Duett), allein Cleopatra und Cesare haben je acht zu singen, vierzig sind es insgesamt, aufgereiht zu einer wunderbar schillernden, glitzernden Perlenschnur. Eine Sänger-Oper par excellence, meint man, doch in der Neuinszenierung wird sie, Marc Minkowski sei Dank, heimlich zu einer Dirigenten?Oper.

Allein seine Kunst, den jeweiligen Charakter einer Arie, einer musikalischen Szene, auf Anhieb zu erfassen und in Klang umzusetzen, fasziniert: schnell, feinfühlig, spritzig und hoch spannend. Aus dem mit Oboen, Quer-flöte, Blockflöten, geteilten Fagotten, und vier Hörnern gross besetzten Or-chester zaubert er eine Leichtigkeit der Artikulation und der musikalischen Rede hervor, die ihresgleichen sucht. Weder die kriegerisch dramati-schen noch die leidenschaftlich beseelten Töne kommen zu kurz; hier verbindet sich ein historisch akkura-ter Originalklang auf ideale Weise mit Temperament und feinsinnigem Esprit. Alle musizieren in Hochform, einzelne Instrumentalisten zum Teil sogar auf der Bühne: eine Wucht an Sinnlichkeit und Drive.

Auch sängerisch steht diese Neuproduktion auf Respekt heischendem Niveau. Der gerade mal 24?jährige Countertenor Franco Fagioli gibt als Cesare sein Rollendebüt: souverän gesungen vor allem in den kontemplativen Passagen und im halsbrecherischen Koloraturwerk, wogegen es seiner Stimme an herrscherischer, an kriegerischer Attitüde (noch) etwas mangelt.

Cecilia Bartoli zieht als Cleopatra alle Register weiblicher (und sängerischer) Verführungskunst, girrt und trällert als kokette «Lydia», wartet in ihrer berühmten Arie «Piangeró» mit weltentrückten Tönen der Trauer auf und zündet in ihrer letzten Bravourarie «Da tempeste» ein virtuoses Feuerwerk an Läufen und Trillern, an staccati und acuti, dass einem Hören und Sehen vergehen könnte.

Etwas sehr grande dame

Charlotte Hellekant gestaltet die leidende Cornelia mit vornehmer, aber gleichzeitig einnehmender Zurückhaltung: ganz grande dame, vielleicht ein bisschen zu sehr. Umso feuriger, aber stimmlich jederzeit kontrolliert, gebärdet sich ihr Sohn Sesto: ein rundum eindrückliches Rollendebüt von Anna Bonitatibus. Gabriel Bermúdez rundet als sympathischer Curio die Römer Belegschaft stimmig ab.

Auf ägyptischer Seite führt Martín Oro als Tolomeo nicht nur einen hervorragend fokussierten Countertenor ins Feld, sondern auch komödiantische Spiellust: im Harem in Shorts und entbIösster haariger Brust ? und das, in Anführungszeichen, mit einer «Frauenstimme». Man darf schmunzeln. Alan Ewing (Achilla) und José Lemos (Nireno) fügen sich nahtlos ins Ensemble ein. Wie gesagt: musikalisch eine reine und lang anhaltende Freude: Über vier Stunden dauert die Aufführung.