Ohne antikisierenden Faltenwurf

Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (22.02.2005)

L'incoronazione di Poppea, 18.02.2005, Zürich

Monteverdi revisited Harnoncourt/Flimms «Poppea» in Zürich

Die Monteverdi-Aufführungen in historisierender Lesart am Opernhaus Zürich in den Siebzigerjahren hatten eine Signalwirkung und Schubkraft besonderer Art. Dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle gelang es, den Komponisten ins Bewusstsein eines breiten Publikums zu rücken.

Das korrupte alte Rom von «L´incoronazione di Poppea» ist inzwischen schon mehrfach in die Gegenwart transponiert worden, und ohne antikisierenden Faltenwurf hat auch Jürgen Flimm nun die Oper in Zürich inszeniert. Neros «domus aurea» ist bei Bühnenbildnerin Annette Murschetz eine moderne römische Villa, die Menschen von der gehobensten Schicht bis zur Dienerschaft beherbergt. Die von Kostümbildnerin Heide Kastler entsprechend typisierten Leute kommen mit ihrem Triebleben, mit ihren Machtgelüsten beziehungsweise Ohnmachtsgefühlen nicht klar. Die kaputte Ehe zwischen Nero und Ottavia scheint vor allem dem Ennui der Upper Ten geschuldet. Da hat es Poppea leicht, Nero zu erobern, der wie ein machistisch-schnöseliger Jungmanager ohne Bodenhaftung im Haus residiert.

Die Aktualisierung durch Flimm zielt durchaus nicht an der Idee des Werks vorbei. Ein Problem ist indes, dass einem Personal und Ausstattung zu bekannt vorkommen, als dass noch viel Erkenntniszuwachs oder gar moralische Erschütterung möglich wäre. Mehr als eine anstrengungsfrei konsumierbare Gesellschaftskritik wird uns kaum vorgesetzt.

Jemand wahrt das Potenzial zur produktiven Irritation und lässt spannende Deutungsreste offen: Seneca, der Philosoph und Dichter und Lehrer Neros, der auf dessen Befehl in den Freitod geht. Der mit sonor strömendem Bass singende Laszlo Polgar hat die Chancen für eine kraftvolle Interpretation an der Premiere genutzt. Überhaupt offenbarte sich da ein hohes darstellerisches Niveau. Pech, dass Vesselina Kasarova krankheitshalber ausfiel, aber Juanita Lascarro gelang es (trotzdem), bei Poppea das Sowohl-als-auch von Machtgier und warm durchpulster Liebe fühlbar zu machen. Jonas Kaufmann als Nero bewegte seine Tenorstimme mit grosser Selbstverständlichkeit im Monteverdischen Idiom. Anrührend gelang es der Sopranistin Francesca Provvisionato, die «affetti» zu entbinden in den zwischen Sprechen und Singen aufgespannten «Klangreden» der gequälten Ottavia. Mit wendiger Stimme sang der Countertenor Franco Fagioli in der Rolle von Poppeas gehörntem Ehemann Ottone. Mit quecksilbrigem Spieltemperament gestaltete der als «haute-contre» im französischen Fach erfahrene Jean-Paul Fouchécourt die Rolle von Poppeas Amme Arnalta.

Mit seinem gestischen Dirigierstil befeuerte Nikolaus Harnoncourt das hauseigene Originalklang-Ensemble «La Scintilla» in nimmermüdem Elan. Es resultierte ein Klangbild zwischen linearem Melos und gezackter Affektrhetorik, perkussiver Aufgerautheit und weichem Sichverströmen.