Roger Cahn, Blick (22.02.2005)
Mit «L'Incoronazione di Poppea» zeichnet Claudio Monteverdi (1567 -1643) ein ungeschöntes Bild unserer Lust- und Frustgesellschaft. Im Zürcher Opernhaus musikalisch wie szenisch brillant umgesetzt. Herzhafter Applaus Freitag an der Premiere.
Um seine Geliebte - Edelnutte Poppea - zu heiraten, verstösst Diktator Nerone Gattin Ottavia. Er befiehlt seinem Thinktank-Guru, dem Philosophen Seneca, den Selbstmord und beseitigt alle, die seiner kriminellen Liebe im Wege stehen. Poppea nutzt die Schwäche ihres mächtigen Lovers für ihren gesellschaftlichen Aufstieg. Am Ende huldigt die breite Masse dem prominenten, erfolgreichen Paar.
Regisseur Jürgen Flimm gestaltet jeden Moment spannend bis ins Detail. Annette Murschetz hat ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen: ein Stahlbau mit Salon, CEO-Office, Dachterrasse, rotem Love-Salon. Alles angeordnet auf einer Drehbühne, so dass die Handlung rund ablaufen kann. Die sinnlichen Kostüme von Heide Kastler unterscheiden die Mächtigen von den Schwachen oder die Lust vom Frust.
Dirigent Nikolaus Harnoncourt verzichtet auf Schönklang zugunsten von Handlung und Spannung. Das 18-köpfige Ensemble auf der Bühne hat einen konsequenten Sprechgesang verinnerlicht, die Sängerinnen und Sänger agieren wie in bestem Schauspiel.
Vesselina Kasarova musste am Tag vor der Premiere leider wegen Angina absagen. Die junge Kolumbianerin Juanita Lascarro sprang ein, sie konnte nicht - wie alle andern - ihre Poppea mit Harnoncourt minutiös vorbereiten. Trotzdem: Ihre Poppea wirkt glaubhaft, als Figur passt sie in diese Produktion.
Weil das Zürcher Opernhaus den Text über der Szenerie einblendet, lässt sich das muntere Spiel konsequent verfolgen. Und man stellt mit Vergnügen fest, wie barock die Moral unserer heutigen Spassgesellschaft eigentlich ist.
Fazit: Idealer Einstieg in die Welt des Musiktheaters und schlagendes Argument gegen jene, die behaupten, Oper sei ein verstaubtes Medium.