Das Scheitern einer Befreiung

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (18.01.2005)

Ariane et Barbe-Bleue, 16.01.2005, Zürich

Mit Gardiner und Guth: «Ariane et Barbe-Bleue» am Opernhaus Zürich

«Rollendebüt für alle Beteiligten» vermeldet der Programmzettel. In der Tat: «Ariane et Barbe-Bleue» von Paul Dukas ist eine Opern-Rarität. Und eine Kostbarkeit dazu, wie die Zürcher Neuinszenierung zeigt.

Langzeitbeobachter der helvetischen Opernszene mögen sich vage an eine Genfer Produktion des Werks vor fünfzehn Jahren erinnern. Ansonsten aber ist das 1907 uraufgeführte Musikdrama nach dem Stück von Maurice Maeterlinck ausserhalb Frankreichs kaum gespielt worden. Dem Vernehmen nach war es der Dirigent John Eliot Gardiner, der dem Opernhaus Zürich die Aufführung des Dreiakters vorschlug. Das Wagnis hat sich gelohnt, zumal mit dem Regisseur Claus Guth und dem Ausstatter Christian Schmidt ein exzellentes Regieteam mitwirkt.

Dukas’ «Ariane» ist ein erstaunlich schonungsloses und gerade darin aktuelles Werk, das zugleich von der Emanzipation der Frau handelt und die Einsicht vermittelt, befreien könne man sich im Grunde nur selbst. Ariane wird als sechste Frau vom Herzog Blaubart in sein Schloss - hier ein Vorstadt-Reihenhaus - gelockt und trifft dort auf fünf frühere Geliebte Blaubarts, die in Gefangenschaft leben, allerlei neurotische Gewohnheiten angenommen haben und sich mittlerweile so sehr mit ihrer Situation abgefunden haben, dass sie die Befreiung durch Ariane ablehnen. Am Ende verlässt Ariane als gescheiterte Aufklärerin das Schloss allein, während die fünf andern Frauen ihren von den Bauern verletzten Unterdrücker liebevoll umsorgen. «Identifikation mit dem Aggressor» mag die Psychoanalyse dies nennen. Nach einer entsprechenden Erfahrung mit den Opfern einer Geiselnahme spricht man auch vom «Stockholm-Syndrom».

lebensecht
Man sieht im Blaubart gern eine Figur von dämonischer Übergrösse. Die Zürcher Produktion überrascht nun nicht zuletzt dadurch, dass sie den Frauensammler als durchaus normalen, sogar sympathischen Zeitgenossen zeigt, dem man nichts Übermenschliches zutrauen möchte. Es soll Ehen geben, in denen Gewalt und Mitleid so ineinander verquickt sind, dass sie schier unauflöslich werden. Eine solche Lebenssituation zeigt diese Oper, und die Zürcher Produktion macht es dem Betrachter leicht, im Stück bekannte Verhaltensmuster wiederzuerkennen.

Die fünf gefangenen Frauen sind Neurotikerinnen, die ihre Defekte sorgsam pflegen: Die eine kratzt sich aus Furcht vor der Kälte unentwegt, die andere vermag sich nicht von ihrem Stofftier zu trennen, eine Dritte ist zuckend von Angstvisionen erfüllt. Ihnen gegenüber ist Ariane eine Frau von einnehmender Natürlichkeit. Die Amme, die zweite grosse Frauenpartie der Oper, steht zwischen den beiden Blöcken, und der lange Blick, den sie im dritten Akt in Arianes Augen tut, wie wenn sie fragen wollte, ob sie dem von den Bauern geknebelten Blaubart Wasser holen solle oder nicht - dieser Blick sagt mehr als viele Worte.

sinfonisch
Die Zürcher Aufführung fesselt nicht nur durch die Genauigkeit, mit welcher solche Momente ins Bild gefasst sind, sondern auch durch ihre musikalische Qualität. Dirigent Gardiner hält sich kaum an die Grundregel des Begleitens, das Orchester solle die Singstimmen nie übertönen, und musiziert mit dem Zürcher Opernhaus-Orchester aus voller Kraft. Gerade dadurch wird die eigenständige Qualität der Musik mit ihren harmonisch und klangfarblich raffinierten, nie das Debussysche Parfum imitierenden Klangwirkungen erkennbar.

Mit der Mezzosopranistin Yvonne Naef hat die Produktion eine ebenso betörend singende wie gekonnt spielende Ariane; an ihrer Seite wirkt Liliana Nikiteanu als einnehmende Amme. Unter den fünf Frauen ragt Stefania Kaluza als Sélysette hervor; die Blaubart-Partie wird von Cheyne Davidson verkörpert. Wenigstens in der Oper werden diesem Vorstadt-Macho die Hörner gestutzt: Mehr als zwei, drei Sätze hat er nicht zu singen.