Bedrohliche Ordnung

Tobias Gerosa, Der Bund (18.01.2005)

Ariane et Barbe-Bleue, 16.01.2005, Zürich

Das Opernhaus Zürich stellt Paul Dukas’ «Ariane et Barbe bleu» zur Diskussion

«Pelléas et Mélisande» erhält eine spannende Ergänzung: Zwei Monate nach Debussys Oper hatte am Sonntag Paul Dukas’ «Ariane et Barbe bleu» Premiere. John Eliot Gardiner und das Zürcher Opernorchester liefern ein engagiertes Plädoyer für dieses vergessene Stück. In der Titelpartie brilliert die Schweizer Mezzosopranistin Yvonne Naef.

In seinem Libretto führt Maurice Maeterlinck zwei Mythen zusammen: den französischen des Ritters Blaubart, der seine Gemahlinnen tötet oder mindestens einsperrt, und den griechischen von Ariadne, die den menschenopferverschlingenden Minotaurus in seinem Labyrinth besiegt.

Bürgerliches Schauerstück

Regisseur Claus Guth setzt diese Rarität, von der es nur eine mässig befriedigende Aufnahme gibt, als bürgerliches psychoanalytisches Schauerstück in Szene. Statt eines Schlosses steht da ein properes Einfamilienhaus. Wie ihre fünf Vorgängerinnen kommt Ariane als festlich geschmückte Braut in dieses getarnte Gefängnis. Selbstsicher und stark tritt sie ihrem Ehemann, der sie längst gefangen hält, gegenüber und besiegt ihn mit ihrem unbeugsamen Drang nach Licht und Aufklärung: «Zunächst heisst es ungehorsam sein. Das ist die erste Pflicht, wenn die Ordnung bedrohlich ist.»

Eigenständige Mischung

Paul Dukas (1865-1935) hat die Geschichte in eine individuelle Musik übersetzt. Abwechselnd denkt man an Debussy und wird sanft an Wagner erinnert - eine eigenständige Mischung; in der engen Bindung der Gesangslinie an die Prosodie und den feinen, bisweilen flirrenden Instrumentalfarben ist sie urfranzösisch. John Eliot Gardiner legt auch bei seiner dritten Zürcher Produktion hörbar viel Wert auf Farbwerte und Dynamik des gut disponierten Orchesters. Überlegen sind die grossen Bögen über die drei sinfonisch komponierten Akte gespannt.

Liegt es an der kühlen Szene, dass die Musik aber irgendwie distanziert wirkt? Oder liegt es daran, dass die Inszenierung von Claus Guth, Spezialist bürgerlicher Ambiente, das Niveau der musikalischen Wiedergabe nicht halten kann und in ihrer tastenden Art bisweilen oberflächlich wirkt?

Getriebener Täter

Am Bühnenbild von Christian Schmidt liegt das nicht. Öffnet sich die verbotene siebte Tür, bricht der Boden ein - das Unbewusste, Verdrängte wird sichtbar. Wenn Blaubart im dritten Akt geschunden zurückkommt und den zarten Aufbruch der traumatisierten Frauen mit per Video visualisierten Erinnerungen mit Mitleid zerschmettert, wird überdeutlich, worum es im Kern geht. Auch Blaubart, trotz prominenter Nennung im Titel eine Nebenfigur, die durch stumme Auftritte zusätzliches Gewicht bekommt, ist ein getriebener Täter, den Cheyne Davidson mit Grösse gestaltet.

Nur Ariane hat wenigstens die Kraft, ihre irrationale Zuneigung zum Peiniger zu überwinden und lässt zurück, was sich nicht befreien lässt, sondern nur aus eigener Kraft losmachen könnte. John Eliot Gardiner wies im Vorfeld der Premiere auf die aktuellen politischen Implikationen dieses Stoffes hin, Guth bleibt ganz im privaten Bereich und deutet tiefe seelische Verletzungen an. Neben überzeugenden Sequenzen in der Beziehung zwischen Ariane und Blaubart gleitet die Personenführung aber auch manchmal in Küchentischpsychologie ab, und gewisse Bilder, wie das Floss der Medusa, die Reigen und Umarmungen, wirken aufgesetzt.

Reiches Timbre

Wettgemacht wird das durch Yvonne Naef. Sie ist als Ariane die ganzen zwei Stunden als emotionales wie vokales Gravitätszentrum auf der Bühne. Mit subtilen Farbabstufungen und reichem Timbre gestaltet sie eine faszinierende Figur, in welcher der orchestrale Reichtum seine Fortsetzung auf der Bühne findet. Nach fordernden zwei Akten findet sie auch noch die Kraft für einen überlegen, beeindruckend ruhigen und gespannten Schluss.