Die siebente Tür zur Freiheit

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (18.01.2005)

Ariane et Barbe-Bleue, 16.01.2005, Zürich

Das Opernhaus Zürich und John Eliot Gardiner entdecken «Ariane et Barbe-Bleue» von Paul Dukas

Eine farbenprächtige Musik, ein souveräner John Eliot Gardiner am Pult und eine grossartige Yvonne Naef: Das sind die Highlights von Paul Dukas’ «Ariane et Barbe-Bleue» in Zürich.

Es ist ein symphonisches Gemälde von wahrhaft glühender Farbenpracht, das John Eliot Gardiner mit Paul Dukas’ «Ariane et Barbe-Bleue» in Zürich serviert. Seinem lang gehegten Wunsch ist es zu danken, dass Dukas’ symbolistisches Werk seine Erstaufführung am Opernhaus erlebt. Nur fünf Jahre nach Debussys «Péleas et Melisande» entstanden und ebenfalls auf einem Libretto von Maeterlinck basierend, unterscheidet sich Dukas’ Musiksprache doch wesentlich von derjenigen Debussys. Sie ist kraftvoller, pulsierender und weniger schwebend.

Eine Frau befreit sich

Dies hängt auch mit Maeterlincks Vorlage zusammen, denn anders als bei seinen früheren Frauengestalten, zu denen auch die Mélisande gehört, präsentiert er mit Ariane erstmals eine starke Persönlichkeit. Die aus der antiken Ariadne-Sage übernommene Figur der Ariane bringt eine neue Facette in das Blaubart-Märchen ein. So öffnet zwar auch Ariane trotz Verbot die siebente Türe, findet dahinter die fünf anderen Ehefrauen und wird wie diese eingesperrt. Es gelingt ihr jedoch, sich und ihre Leidensgenossinnen zu befreien.

Doch während Ariane die Freiheit wählt, bleiben die anderen Frauen in unterwürfiger Knechtschaft bei Blaubart. Dukas fokussiert seine Musik denn auch ganz auf seine Heldin. Während Blaubart fast gar nie auf der Szene erscheint und insgesamt nur 21 Takte zu singen hat, ist Ariane für die gesamte Dauer des Stückes singend auf der Bühne präsent. Yvonne Naef bietet in diesem Marathon eine Glanzleistung.

Regisseur Claus Guth versucht, die fast handlungslose Geschichte im Niemandsland zwischen Realismus und Symbolismus anzusetzen. Blaubarts Burg ist ein gutbürgerliches Reihenhaus mit sechs Fenstern, das am Anfang und am Schluss als Projektion am Bühnenportal aufscheint. Nach dem Aufziehen der Leinwand wird der Blick ins weisse, seelenlose Haus freigegeben, das neben sechs weiss getünchten Türen eine siebte, transparente Tür aufweist, in der Ariane mit ihrer Amme eintritt.

Die beiden chorischen Massenszenen bei der Hochzeit ganz zu Beginn und bei der Gefangennahme Blaubarts werden ins Off verbannt, womit Guth das Publikum um die letzten dramatischen Handlungsteile bringt. Sein Blick geht ganz nach innen: Weiss sind die Wände, ganz in Weiss treten Ariane und ihre Amme auf. Raffiniert ist, wie der zweite Akt räumlich gestaltet wird (Ausstattung Christina Schmidt). Das «Biedermeierhaus» wird angehoben und gibt den Blick frei in dessen Untergeschoss mit sechs typischen Holzkellerabteilen.

Darin vegetieren Sélysette, Mélisande, Bellangère, Ygraine und Alladine, gekleidet wie Ariane, aber in dezenten Pastelltönen. Guth versteht sie gleichermassen als Individuen wie als Facetten ein und derselben Frau. Das Aufspalten einer Figur in mehrere, seien es Handlungsfiguren oder Puppen, hat am Opernhaus Zürich Hochkonjunktur, ein Regiekniff, der langsam aber etwas verbraucht und hier eher ratlos als erleuchtend wirkt - Symbolismus pur.

Farbe und Spannkraft

Regie und Ausstattung entziehen sich also weitgehend der Dynamik und der Farben und überlassen deren Präsentation dem Orchester. Und da wird unter John Eliot Gardiner wunderbar in funkelnden Tönen gesprüht und gemalt, einmal leuchtet ein Wagnerischer Gestus auf, dann hört man wieder Fauré’sche Chansonhaftigkeit. Es ist diese unglaubliche Vielgestaltigkeit des Klangteppichs, das stete Anschwellen und Zurückgehen, das für Lebendigkeit sorgt und den Sängerinnen den notwendigen Freiraum verschafft.

Das Ensemble des Opernhauses verwebt vokalen und instrumentalen Klang differenziert. Auch vom Stimmtimbre her passen Stefania Kaluza, Eva Liebau, Martina Jankova und Liuba Chuchrova wunderbar zusammen. Cheney Davidson mit gewohnt sonorem Bass als Blaubart und die helle, quirlige Liliana Nichiteanu als Amme ergänzen mit ihren grösseren Rollen die «En-tourage» von Ariane.

Aber natürlich gehört der Abend Yvonne Naef, die die horrend schwierige Rolle souverän gestaltet. Den strapaziösen Tonumfang mit hoher Tessitura und klingender Tiefe meistert die Mezzosopranistin so mühelos wie die Wechsel vom rezitativischen Parlando zur hochexpressiven Dramatik. Wie sie über zweieinhalb Stunden einen einzigen Spannungsbogen zu halten weiss, bleibt ihr Geheimnis.