Schwestern wissen sich selbst zu helfen

Werner Müller-Grimmel, Stuttgarter Zeitung (21.01.2005)

Ariane et Barbe-Bleue, 16.01.2005, Zürich

Paul Dukas" selten gespielte Emanzipationsoper "Ariane et Barbe-Bleue" in Zürich

Einen Tag nach der Münchner Premiere von Benjamin Brittens Männeroper "Billy Budd" kam in Zürich auch die selten aufgeführte Frauenoper "Ariane et Barbe-Bleue" von Paul Dukas auf die Bühne. Zwar wird im Titel des vom Komponisten als "Conte" bezeichneten Stücks der Märchenbösewicht Blaubart scheinbar gleichberechtigt neben der antiken Mythenfigur Ariadne genannt, doch erst an zweiter Stelle und eigentlich nur, um damit auf die beiden hier vom Textdichter Maurice Maeterlinck verquickten Stoffe hinzuweisen.

Zu melden hat nämlich Barbe-Bleue in Dukas" dreiaktiger, 1907 in Paris uraufgeführter Oper nur wenig. Ganze einundzwanzig Takte Gesang bewilligt die Partitur dem weit gehend durch Abwesenheit oder Passivität glänzenden "Titelhelden", während seine Gegenspielerin Ariane stimmlich rund zwei Stunden lang nahezu ständig gefordert ist - ein mörderischer, allenfalls mit der Rolle Elektras in Richard Strauss" gleichnamiger Oper vergleichbarer Part, den die Schweizer Mezzosopranistin Yvonne Naef in Zürich bravourös meistert.

Zu einer veritablen "Frauenoper" macht "Ariane et Barbe-Bleue" jedoch die Tatsache, dass neben der dominanten Ariane sechs weitere weibliche Figuren die Szene beherrschen, wogegen ein kurzer Auftritt von drei Bauern am Ende des dritten Aktes peripher bleibt. Indirekt ist das "Prinzip Blaubart" freilich permanent gegenwärtig. Claus Guths Zürcher Inszenierung bringt das auch optisch zum Ausdruck. Immer wieder schleicht Barbe-Bleue, ein ganz normal aussehender Herr mit Dreitagebart und braunem Anzug, im Hintergrund der Bühne (Ausstattung: Christian Schmidt) herum, die das Innere seines modernen Hauses zeigt.

Zur bedrohlich dräuenden, von markerschütternd anschwellenden Chorwarnungen (exzellent einstudiert von Ernst Raffelsberger) begleiteten Ouvertüre sehen wir dieses Haus zunächst von außen. Ein Videofilm (Timo Schlüssel) in voller Bühnenbreite zeigt ein unscheinbares Anwesen in verschneiter Gegend. Ein Fahrzeug kommt vorbei, Lichter gehen an, Vorhänge werden zugezogen, Schatten werden dahinter sichtbar, Alfred Hitchcock lässt grüßen.

Ariane kommt als Braut, wird von Barbe-Bleue (Cheyne Davidson) mit Blumen an der Tür empfangen. Doch anders als ihre fünf Vorgängerinnen, die hier gefangen gehalten werden, weil sie die verbotene siebte Tür geöffnet haben, lässt sich die ebenso schöne wie coole Neue durch nichts abschrecken. Zielstrebig lässt sie ihre Amme (Liliana Nikiteanu) fünf Türen öffnen. Wo Maeterlinck symbolisch verschiedene Edelsteine zum Vorschein kommen lässt, zeigen sich bei Claus Guth schicke Hausfrauen wie aus einem Modeprospekt der fünfziger Jahre, die bei Blaubarts Auftritt ängstlich in ihre goldenen Käfige zurückweichen.

Hinter der sechsten Tür trifft Ariane sich selbst. Als sie Blaubart auf Augenhöhe begegnet, geht er buchstäblich in die Knie. Auch seine Versprechungen und Drohungen können sie nicht davon abhalten, die siebte Tür zu öffnen und die eingekerkerten Frauen zu befreien. Schmidts Bühne ist im zweiten Akt hochgefahren, zeigt die unterirdischen Verliese als moderne Lattenverschläge, aus denen Ariane mit den Gefangenen auf einem Metallbett surreal ins Freie rudert.

Bauern haben mittlerweile Blaubart besiegt und bringen den Schwerverletzten ins Haus, bieten Hilfe an. Nein danke, sagt die Emanze, ihr seid Helden, aber "sisters are doin" it for themselves!" Fassungslos muss sie am Ende jedoch erleben, dass ihre Geschlechtsgenossinnen Muffensausen bekommen und Mitleid mit ihrem ehemaligen Peiniger, der nun wie ein Schmerzensmann darniederliegt und geballte weibliche Pflegeinstinkte wachruft.

Guth möchte das auf archetypische Konstellationen zwischen Mann und Frau zielende Stück, das in seelische Abgründe blicken lässt, als zeitlose Fabel und gleichzeitig konkret erzählen, möchte Märchenhaftes und Realistisches ineinander spielen lassen und so die psychische Tragweite einer "misslungenen Heilung" ausloten. Dies ist ihm teils in Analogie zur mehrschichtig konzipierten Bühne überzeugend gelungen. Stellenweise verfängt sich die Inszenierung aber auch in den Fallstricken ihres multiplen Anspruchs. John Eliot Gardiner bringt die Qualitäten der komplexen, für ihre Zeit hochmodernen Partitur, ihre grandios aufrauschenden Tumulte, schroffen Klangballungen, aber auch ihre vielfältig instrumentierten Kammermusikszenen plastisch zur Geltung.