«Ist sie Euch recht?»

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (06.12.2004)

Der fliegende Holländer, 04.12.2004, Zürich

«Der fliegende Holländer» im Opernhaus Zürich

Wagner in Paris, das war ein Moment der gescheiterten Ambition, der narzisstischen Verletzung und der Eifersucht. Unter abenteuerlichen Umständen war der damals 26-jährige Komponist 1839 mit seiner jungen Gattin Minna von Riga aus in die Capitale gekommen; dort und nur dort, so glaubte er, würde er reüssieren können. Doch alle Versuche, zu einem Auftrag der Opéra zu kommen, gingen schief, selbst das Projekt des «Fliegenden Holländers» fand keine Gnade, die Geldnot nahm bedenkliche Masse an. Vollkommen enttäuscht wandte sich Wagner nach knapp drei Jahren von der damaligen Hauptstadt der Musik ab und ging nach Deutschland zurück, um ein deutscher Komponist zu werden; die Schuldzuweisungen konzentrierten sich auf Meyerbeer, dem Wagner den Erfolg neidete und den er mangelnder Unterstützung bezichtigte.

Ein Männertraum

In diesem Licht kann man den «Fliegenden Holländer» verstehen - kann man zum Beispiel begreifen, warum dieses 1841 in der unglaublich kurzen Zeit von nur vier Monaten komponierte, allerdings auch noch reichlich konventionelle Stück von einer männlichen Egomanie kündet, wie sie von heute aus kaum mehr erträglich scheint. Die Rede ist hier ja von einem Seemann (in dem man durchaus Wagner sehen kann) und seinem Leiden; erst wenn sich eine Frau findet, die sich ihm voll und ganz ergibt, kommt er zur Erlösung. Die Frau findet sich, denn Daland, ein anderer Seemann, hat zufälligerweise eine Tochter, und die ist dem reichen Unbekannten rasch in die Ehe gegeben. Ob sie ihm recht sei, fragt Daland den Holländer nach der ersten Begegnung mit seiner Tochter. Senta wird um ihre Meinung erst gar nicht gebeten, was darum nicht so schlimm ist, weil sie dem Fremden ohnehin auf den ersten Blick verfallen ist.

Ein bisschen etwas von dieser eigenartigen Konstellation deutet die Inszenierung von Richard Wagners «Fliegendem Holländer» an, die David Pountney für das Opernhaus Zürich entworfen hat. Daland - Matti Salminen singt es mit ungebrochener Grösse, aber auch bemerkenswerter Agilität - erscheint als ein durchtriebener Geschäftsmann, der seinem Verhandlungspartner ganz und gar erbötig ist, um nur umso schneller ans Ziel zu gelangen. Alles hat er unter Kontrolle. Den jungen Seemann, den er mit aller Selbstverständlichkeit zur Wache abkommandiert (Christoph Strehl singt sein Lied dennoch schön entspannt). Die Amme Mary (Irène Friedli), die sich als Sekretärin zwischen Börsenkurven hin und her bewegt. Die Frauen überhaupt, die als blonde Girlies ihre Reize zeigen und von den nach Hause zurückgekommenen Seeleuten dementsprechend behandelt werden - der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor des Opernhauses hat hier einen grossen Auftritt.

Auch seine Tochter Senta hat Daland im Griff - allerdings nur scheinbar und nur auf Zeit. Eindrücklich bringt Eva Johansson zur Geltung, wie sich Senta vom kleinen Mädchen, das einem Inbegriff von Mann nachträumt, über das schockartige Erwachen zur selbstbestimmten Frau wandelt. Und bemerkenswert, wie die Sängerin mit ihrem so ausgeprägten Timbre in die grosse Ballade des ersten Akts nicht nur sehnsüchtige, sondern auch fahle, zerbrechliche Töne mischt und wie sie dann in dem Moment, da sich Senta für den Fremden ins Meer stürzt, zur grossen Heroine wird. Den Holländer selbst gibt Egils Silins, der sich seit seinen Anfängen am Theater Basel prächtig entwickelt hat, als einen ganz auf sich bezogenen, ja in sich gefangenen Mann; kernig und klar konturiert klingt dieser Bass, dazu herrlich in der Tiefe verankert, aber nicht mit dem breiten Strich, über den Matti Salminen verfügt. Dass einer so viel Wirkung ausübt wie dieser Holländer, das kann der bodenständige Erik nicht begreifen - Rudolf Schasching, der hier als Pavarotti-Double erscheint (und dem szenischen Ansatz stimmlich sehr wohl zu genügen weiss), macht es mit seinem eigenen komischen Talent deutlich.

Doch über diese grobe Zeichnung hinaus beschränkt sich die Inszenierung auf die gefällig modernisierende, durchaus beliebig wirkende Illustration durch den Ausstatter Robert Innes Hopkins. Den Einheitsschauplatz bildet die Kante eines Würfels, was um so eher als Schiffsbug verstanden werden kann, als es auch einen ersten Stock gibt: eine Kommandobrücke oder ein Felsenriff, je nachdem. Wie im Traum ist da alles in Bewegung, wozu nicht zuletzt der Einsatz der Drehbühne sorgt. Die Wände selbst sind teils transparent gehalten, teils dienen sie als Bildschirme: für Videoaufnahmen, welche die Engländerinnen Jane und Louise Wilson unter anderem in russischen Raumfahrtszentren erstellt haben. Was das genau mit dem «Fliegenden Holländer» zu tun haben soll, darf noch ein wenig hinterfragt werden; Technokratie contra Gefühlswelt vielleicht? Tatsache ist, dass diese Bilder mit ihren Nahaufnahmen von Gesichtern allzu sehr an die DVD-Ästhetik erinnern und in ihrer Penetranz von der Sache selbst ablenken.

Hang zum Lauten

Wie stets bei David Pountney ist der szenische Eindruck durch mächtige räumliche Elemente und eher plakative Personenführung bestimmt. Überraschend aber, wie sehr sich dieser Ansatz in den Orchestergraben verlängert. Das Vorspiel gibt das Orchester der Oper Zürich als ausgefeiltes Konzertstück, mit dem der Dirigent Christoph von Dohnányi erkennen lässt, was Altersweisheit am Pult heissen kann. Mitreissend das Feuer, das gleich zu Beginn entfacht wird, grossartig die Ruhe, mit der dann das zweite Thema ausgemalt wird, meisterlich die Kontrolle, mit der das Stück unter einen einzigen Bogen gestellt wird. Doch schon bald beginnen sich Schwachstellen in der Koordination innerhalb des Orchesters, aber auch zwischen Orchestergraben und Bühne bemerkbar zu machen. Und vor allem drängt sich der Hang zum lauten Spiel immer störender in den Vordergrund - auch wenn manche Stelle kammermusikalisches Filigran annimmt. Klar, wenn der Weltuntergang beschworen wird, darf und soll die Pauke scharf dazwischenfahren; aber am Ende des pausenlos, gleichsam als Einakter durchgespielten Abends fühlen sich Zuhörer und Zuhörerin überfahren, erschlagen und ermattet, von den Orchestermitgliedern ganz zu schweigen. Jubel für die Sänger, ein Bühchen für den Dirigenten und das Regieteam.